Der Freischütz – Ein Interview mit Philipp Stölzl

Shownotes

Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl kehrt nach "Rigoletto" 2019/21 für Carl Maria von Webers romantische Oper "Der Freischütz" an den Bodensee zurück. Beim Richtfest des "Freischütz"-Bühnenbilds im April war er zu Gast im Podcast Hör-Spiele und spricht mit Festspiel-Dramaturg Florian Amort über seine Arbeit, seine Faszination für Bregenz und seine Ideen für Bühnenbild und Inszenierung.

Carl Maria von Webers schaurig-schönes Meisterwerk wird am 17. Juli 2024 an 28 Abenden zur Aufführung kommen. Info und Tickets unter www.bregenzerfestspiele.com

Wenn Sie mehr zum diesjährigen Bühnenbildaufbau erfahren möchten, finden Sie hier eine kleine Video-Reihe mit Einblicken: https://bregenzerfestspiele.com/de/ein-buehnenbild-entsteht Alle Videos sind auch auf Instagram und Facebook verfügbar.

Transkript anzeigen

00:00:00: Hörspiele. Ein Podcast der Bregenzer Festspiele.

00:00:19: Herzlich willkommen zu einer weiteren Folge von Hör-Spiele, dem Podcast der Bregenzer

00:00:24: Festspiele. Mein Name ist Florian Amort, ich bin der Dramaturg der 

00:00:27: Festspiele und mir gegenüber sitzt Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl.

00:00:32: (FA) Hallo Philipp. (PS) Hallo, ich freue mich, dass ich hier bin.

00:00:35: (FA) 2024/25 zeigen die Bregenzer Festspiele als Spiel auf dem See Carl Maria von Weber's

00:00:42: "Der Freischitz" in einer Inszenierung von dir. Und wir hatten Richtfest gestern.

00:00:47: Richtfest kennt man vom Häuserbau, vom Bühnenbild, kennt man das eher weniger.

00:00:52: Was ist denn für dich ein Richtfest? Was sieht man? Was sieht man noch nicht?

00:00:56: (PS) Ja, ich glaube, hier in Bregenz macht es schon Sinn, dass es ein Richtfest gibt,

00:01:00: weil es ist ja nicht nur ein Bühnenbau, sondern es ist ja ein riesen Gebäude,

00:01:05: ein Riesenbau, der da auf dem See entsteht, alle zwei Jahre und da stecken wie bei

00:01:11: einem Haus auch jahrelange Planungen drin. Wahnsinnig viele Herausforderungen, die da

00:01:17: gemeistert werden müssen und einfach eine unglaubliche Menge an Leuten, die da hier

00:01:22: miteinander zusammenarbeiten auf eine engagierteste und komplizierteste Weise.

00:01:28: Und da ist ein Richtfest mehr als angezeigt, kommt mir immer vor.

00:01:31: Ich bin ja schon zum zweiten Mal in Bregenz, habe also schon das zweite Richtfest

00:01:35: hinter mir jetzt und ich mag das total auch gerade, dass man dann die Bauhelme

00:01:40: an hat und das so feiert als Wegstein des Bauwerks, finde ich toll.

00:01:48: Beim Bau ist ja immer dann so ein Tannenbaum, der oben an Dach fest kommt,

00:01:53: es gibt da so ein bisschen Rituale, ich finde das schön.

00:01:57: Ich bin überhaupt Fan von Ritualen, ich finde Rituale was schönes und gerade hier

00:02:01: auch in dieses ganze Vorarlberger Set-Up passt es total gut.

00:02:06: (FA) Du hast 2005 schon einmal einen "Freischütz" gemacht, das war deine allererste

00:02:11: Operninzinierung in Meiningen, jetzt wieder in Bregenz.

00:02:14: Was fasziniert dich an diesem Stoff so?

00:02:16: (PS) Ja, es ist lustig, ich habe mir eigentlich vorgenommen, nie das gleiche Stück zu machen.

00:02:20: Ich bin ja mehr-beruflich, mache Film und auch viele Schauspiele in letzter Zeit

00:02:27: und die Oper ist nur ein Ausschnitt.

00:02:30: Ich habe immer gedacht, meine Kollegen, die das Fulltime machen, die sind natürlich alle

00:02:36: so, dass sie irgendwann mal ein Stück zum zweiten Mal machen, weil es einfach gar nicht so viel Kernrepertoire gibt.

00:02:42: Und jetzt tatsächlich der "Freischütz" zum zweiten Mal für mich, das ist auch so ein bisschen verrückt für mich.

00:02:48: Ich bin damals zum "Freischütz", also ein bisschen so wie die Jungfrau zum Kind gekommen,

00:02:53: weil ich von Oper wenig Ahnung hatte und ein kleines Theater in Thüringen in Meiningen

00:03:01: hatten meine Rammstein-Videos gesehen und haben gesagt, mach doch bei uns eine Oper,

00:03:06: du kennst dich aus mit Düster und Deutsch und Wald und so und ich so, na gut, wenn das passt.

00:03:11: Und habe aber da wirklich auf dem Weg dann auch lernen müssen, dass "Freischütz" durchaus ein ziemlich kompliziertes Stück ist,

00:03:19: also in der Umsetzung.

00:03:20: Habe es aber da total lieben gelernt und die Aufführung war auch dort dann ein Riesenerfolg

00:03:26: und ist glaube ich 15 Jahre lang gelaufen, es war so ein Evergreen dort.

00:03:30: Also irgendwie hab ich das Gefühl, ich bin dem Material nahe, man kennt natürlich die Figuren schon

00:03:34: und hat die Musik so eingeatmet.

00:03:36: Und als Elisabeth Sobotka mich dann fragte, ob ich hier nochmal arbeiten möchte,

00:03:43: da habe ich mich erstmal wie irre gefreut, weil ich einfach totaler Bregenz-Fan bin.

00:03:48: Also ich war vom ersten Augenblick hier total verliebt in diesem Ort und in dieses Spiel auf dem See

00:03:53: und alles eigentlich und habe eigentlich so insgeheim nach dem schönen Erfolg von "Rigoletto" gehofft,

00:04:00: dass es vielleicht nochmal einen Wiederkehr geben würde.

00:04:04: Dann haben wir überlegt, was wir miteinander machen und ich selber wäre jetzt glaube ich nicht nochmal

00:04:10: angetreten für einen anderen Verdi.

00:04:12: Ich hatte das Gefühl, dass es ... "Rigoletto"steht so gut und monolithisch so da in seiner Art.

00:04:18: Da hätte ich Sorgen gehabt, dass man sich wiederholt oder wiederholt und nicht mehr so gut wird

00:04:23: oder so diese ganzen Ängste, die man als Künstler so hat.

00:04:26: Und dann dachten wir mal gucken, ob wir was ganz anderes machen, ganz anders Repertoire.

00:04:31: Und da sind wir wieder auf "Freischütz" gekommen, der erstaunlicherweise gar noch nie gespielt wurde hier.

00:04:37: Keine Ahnung warum, vielleicht weil die Leute, das spielt doch im Wald, das passt nicht zum See

00:04:43: oder sowas, keine Ahnung.

00:04:45: Aber "Der Freischütz" gehört neben "Zauberflöte" natürlich zu dem ganz wenigen deutschen Repertoire,

00:04:50: was überhaupt so ein Open-Hit überhaupt da ist.

00:04:55: Und dann haben wir angefangen uns dem anzunähern auch in diesem Startvorteil,

00:05:02: das ich das Stück eben schon genau kannte.

00:05:05: Und das war für mich eigentlich ein sozusagen sehr glücklicher Moment,

00:05:10: weil es ist so, dass ich einerseits natürlich den See mittlerweile irre gut kenne.

00:05:15: Gleichzeitig kannte ich das Stück gut, also man konnte sich gut Idee entwickeln,

00:05:21: wie "Der Freischütz" hier für den See toll auf die Bühne kommen würde.

00:05:26: Und da gibt es so bestimmte Parameter, die ich da so in Betracht gezogen habe.

00:05:31: Und dann haben wir es da herangeredet.

00:05:33: (FA) Wenn man sich den Rigoletto noch anschaut, der ikonische Clownskopf, also etwas sehr symbolisches,

00:05:39: wenn man jetzt rausschaut, man sieht eher ein naturalistisches Bühnenbild fast.

00:05:43: Man sieht einen Berg, man sieht windschiefe Häuser, eine Lagune.

00:05:46: Wie wirst du kreativ?

00:05:49: Sitz du zu Hause, kritzelst ein bisschen rum, hörst du die Musik an?

00:05:53: Oder wie kriegst du die Inspiration, ein versunkenes Dorf in einer Schneelandschaft zu kreieren?

00:06:00: (PS) Also es ist genauso wie du beschreibst.

00:06:02: Also ich höre Musik, ich kritzle unendlich viel.

00:06:06: Es sind immer irgendwie hunderte, wenn nicht tausende so kleine Skribbels, die bei mir 

00:06:12: im Zuhause, auf Bahnfahrten, in irgendwelchen kleinen Blöcken entstehen, wo ich mich so gedanklich ran arbeite,

00:06:19: erst mal bis dann was entsteht.

00:06:21: Es ist natürlich nicht nur das skribbeln, sondern es ist auch im Kopf die ganze Konzeptionsarbeit,

00:06:25: die dann zu leisten ist.

00:06:28: Und ich sage mal, da gibt es eine Menge dazu zu erzählen.

00:06:31: Da gibt es verschiedene Aspekte, die für mich da in der Entwurfsphase eine Rolle gespielt haben.

00:06:38: Das eine ist vielleicht etwas Grundsätzliches, dass ich das Gefühl habe, dass "Der Freischütz",

00:06:43: den ich eben wie gesagt selber gemacht habe und auch ein paar Mal auf der Bühne gesehen habe,

00:06:47: ist ein Stück, was sich eigentlich sozusagen so ein bisschen zickig wehrt gegen allzu viel Konzeption.

00:06:53: Ich sage mal, nun mal als Vergleich, wenn du sagst, du nimmst ein Wagner oder du nimmst einen Mozart,

00:06:59: das ist dermaßen, da ist die Musik und das Narrativ ist ziemlich offen und unbeschrieben.

00:07:07: Also ich sage mal, "Don Giovanni" tust du ins Bürohaus, wird funktionieren.

00:07:13: Du wirst nicht so wirklich drüber nachdenken, dass diese Figuren und da geht die Musik und die Figuren

00:07:19: und das moderne Bürohaus in der Regel eine tolle Verbindung ein.

00:07:25: Bei "Freischütz" geht es mir zumindest als Zuschauer nicht so, weil ich das Gefühl habe,

00:07:30: der "Freischütz" hat seinen Kern so stark in diesem Setup, in der Wolfschlucht,

00:07:35: mit dieser Atmosphäre in diesem, ich sage mal, Schauer-Sujet, was auch so ein bisschen was Klapperndes hat.

00:07:44: Also der "Freischütz" ist auch so ein bisschen eine Schote, die durchaus so ihre subkotanen psychologischen Schichten hat.

00:07:50: Aber erstmal ist es so eine Moritat und Gruselgeschichte, die auch so toll und pur und ein bisschen naiv auch entgegenkommt.

00:08:01: Deswegen ist es auch, wenn man die ikonischen Freischütz-Sachen anguckt, gibt es zum Beispiel die Berühmte von Freyer in Stuttgart,

00:08:08: die eben auch so eine naive Volksästhetik-Votivbildchen anschlägt, so die funktioniert toll.

00:08:15: Aber andere Sachen, die das in einem Modernismus versetzt haben, haben für mich irgendwie nie funktioniert,

00:08:21: weil sie eigentlich den Kern, dass man ihm lustvoll diese Gruselgeschichte erzählt, so außer Acht lässt,

00:08:27: man verliert so ein bisschen den Kern. Also dies sagend war für mich klar, dass man sagt,

00:08:33: man möchte gerne irgendwie in der Art von, nicht ein Naturalismus, aber so einen magischen Realismus hinein schnüffeln,

00:08:43: so was sich da dem Stück und dem See zusammen ergibt. Also das war so ein bisschen ein erster Ansatz.

00:08:50: Das andere ist natürlich, dass ich dachte, gut, der See, das ist ja eine Reihe, es hat 30 Jahren,

00:08:57: wir haben hier riesen Sachen in den See gebaut, seit Savary [Anm.: Jerome Savary - "Die Zauberflöte" - Spiel auf dem See 1985/86]. Und das ist ja ein bisschen auch ein ästhetischer Weg.

00:09:03: Und die letzten Jahrzehnte, als letzten zehn Jahre waren eher Sachen, die metaphorisch sind, abstrakt.

00:09:10: Und ich dachte, es ist interessant zu gucken, sozusagen, dass man mal eine ganz andere Tonalität anschlägt,

00:09:16: dass die Leute mal kommen und sagen, jetzt siehts aber total anders aus.

00:09:21: Einfach, um sie wach zu halten und zu überraschen. Und der "Freischütz" ist ganz sicher das richtige Stück,

00:09:26: weil er eben diese total stark sozusagen von Atmosphäre lebt. Also das Kernthema ist ja diese,

00:09:34: dass wir eigentlich umgeben sind von dunklen Mächten, die uns möglicherweise hinabziehen in Sünde und Verderben,

00:09:40: die dieses Stück so im Inneren so trägt. Und da kann man sich ganz lustvoll sozusagen in

00:09:47: naturalistischen Baumahl reinfallen lassen. Und wenn man es gut angeht, muss man glaube ich keine Angst davor haben,

00:09:55: dass es muffig wird. Weil das ist ja immer so ein bisschen das Problem an Naturalismus, dass du denkst,

00:10:00: ah, wenn es schief geht, dann hat man so ein bisschen Opas Theater von Vorvorgestern.

00:10:06: Aber wenn man es, ich sag mal, wie ich so aus dem Kino rausdenkt, die Bühne hat ja jetzt auch so ein bisschen

00:10:13: Anklänge an den, das ist ja mal ein Tim Burtons Filme oder auch an den expressionistischen, der deutschen Sturmfilme.

00:10:22: Also da gibt es eine Menge Anklänge, die eben nicht so aus dem Klamottenkisten Theater kommen,

00:10:27: sondern eher eben cinematisch gemeint sind. Also Überwältigung, Atmosphäre, Überwältigung,

00:10:34: Sinnlichkeit so als Schlagworte.

00:10:36: [FA] Du hast "Sleepy Hollow" genannt zum Beispiel, unserem Kaschur-Team, als sie diese Bühnenhäuser

00:10:42: gemacht haben. Du hast auch gestern bei der Pressekonferenz erwähnt, dass du ein Film-See-Studio

00:10:48: besucht hast, wo sie eben so ein Becken nachgebaut haben. Dieses ganze filmische, was dich ja auch

00:10:54: auszeichnet, als Filmregisseur. Was denkst du, kann die Oper vom Film lernen? Oder was kann umgekehrt

00:11:00: der Film von der Oper lernen?

00:11:02: [PS] Ich mache beides und nehme immer von einem Kunstgattung in die andere auch was mit.

00:11:07: Das ist klar.

00:11:08: Also von der Oper in den Filmen nehme ich diesen Willen zu großen Bildern und auch zu einer

00:11:15: musikalischen Wucht mit, dass man sich vor der Größe und dem "bigge-than-life"-Sein

00:11:19: nicht fürchten muss beim Film.

00:11:21: Das ist auch nicht jedermans Geschmack, aber die Filme, die ich mache,

00:11:24: haben oft eine große epische Geste.

00:11:26: Und das ist was, was mir liegt und was ich so empfinde und was ich für mich so umarmen kann.

00:11:32: Umgekehrt nehme ich immer aus dem Film auf die Bühne mit diesen Willen quasi einen guten

00:11:40: Rhythmus zu finden und gut zu erzählen.

00:11:42: Also dass du sagst, du bist schlüssig in deinen Figurenbögen, in deinen Rhythmen aus

00:11:46: Etablierungen, Wendepunkten, emotionalen Beats, die man so erwischen möchte, dass du im

00:11:51: Endeffekt die Zuschauer quasi emotional und rhythmisch schon an die Angeln nimmst.

00:11:55: Das ist natürlich was, was man im Schauspiel mehr in der Hand hat, weil der Opernregel

00:12:00: natürlich das Libretto und vor allem die Partitur einfach sehr, sehr viel an Emotionen

00:12:05: und Bögen quasi vorgeben so.

00:12:08: Beim "Freischütz" ist es ein bisschen ein Sonderfall, weil "Der Freischütz" ja zu 40% aus

00:12:13: Sprechtheater besteht.

00:12:15: Das ist was, was man eigentlich immer vergisst.

00:12:18: [FA] Und auch eine Schwierigkeit ist.

00:12:20: [PS] Ja, es ist eine Schwierigkeit, ja absolut.

00:12:22: Ich habe das Gefühl, dass bei "Freischütz" ist, das teilt so ein bisschen die Geister,

00:12:26: wenn du sagst, ah, "Freischütz" würde ich gern machen, uuh, "Freischütz".

00:12:29: Weil da alle mal Angst haben vor diesem Muffeligen, so, dass die Leute dann eben so,

00:12:35: dass diese Sprechtexte so muffelig sind und dass die Geschichte auch so ein bisschen so

00:12:40: gerade in den, was die Frauenfiguren betrifft, so was Altväterliches hat und dann

00:12:45: dieser Jägerchor, wo man sagt, ach, dieser deutsche Wald.

00:12:49: Es ist so ein bisschen, da haben wir mal alle Angst, dass es ein bisschen uncool wird oder so.

00:12:55: Es liegt natürlich auch zu allererst daran, dass die Aufführungspraxis in Deutschland halt so ist,

00:13:02: dass du die Ensembles, die eben aus der ganzen Welt kommen, die Sänger,

00:13:07: sind einfach total international und du hast immer, also von zehn Sängern sind eigentlich acht

00:13:13: nicht muttersprachlich Deutsch, wenn du in den Ensembles guckst in Deutschland.

00:13:16: Und dann willst du "Freischütz" spielen und dann endest du immer damit, dass die,

00:13:20: dass sich lauter Leute, die Deutsch nicht sprechen oder Deutsch mit starken Akzent,

00:13:25: sprechen sich doch diese Dialoge durchkämpfen müssen, wo du natürlich nie in ein Spiel kommst

00:13:30: und wo du immer damit endest, dass du sagst, ah, du lass uns die Dialoge total kurz machen

00:13:35: und schnell zur nächsten Musiknummer kommen, damit du eben dich da nicht so quälst.

00:13:40: Und da geht es dann los, weil beim "Freischütz" ist es so, dass du auch so ein bisschen eine Nummern-Oper,

00:13:47: das heißt, manchmal sind auch die einzelnen Musiknummern, ich sag mal, die kommen so ein bisschen reinkollagiert

00:13:55: und haben manchmal was bisschen operettiges im Sinne von, da wird dann eine Überleitung geschaffen,

00:14:01: damit dann was gesungen werden kann.

00:14:03: Und wenn du jetzt anfängst, die Dialoge wegzunehmen, dann hast du eine ganz komische, wie so eine Form,

00:14:10: die oft ein bisschen was Fragmentarisches so hat.

00:14:14: Also, dass die Dialoge weglassen ist eben oder sehr stark einkürzen, ist eben türkisch,

00:14:19: wenn man den "Freischütz" macht.

00:14:21: [FA] Ja, du hast dir dann auch den Weg genommen und einfach gesagt, okay, wie im 19. Jahrhundert übrigens,

00:14:26: wir schreiben die Dialoge neu.

00:14:28: [PS] Wir schreiben die neu, aber davor war ein anderer Punkt, den wir hier hatten in der Diskussion

00:14:33: und wo ich gesagt habe, ich glaube, man kann den "Freischütz" toll am See machen, man muss den rein deutschsprachig besetzen.

00:14:39: Und ich brauche Leute, die toll singen können, toll schauspielen können und Deutsche sind oder Österreicher.

00:14:45: Und das hat sich, ehrlich gesagt, dann als relativ problemlos entschieden.

00:14:50: Wir haben wirklich tolle Leute zusammengefunden, die jetzt hier im Sommer antreten werden.

00:14:55: Also freue ich mich total.

00:14:57: Und dann habe ich auch praktisch das Libretto nochmal komplett angefasst

00:15:02: und versucht, das noch stärker, schlüssiger, schmerzhafter, aber auch lustiger hinzubekommen

00:15:10: und vor allem die beiden Frauenfiguren, also Agathe und Ännchen, neu zu erzählen,

00:15:14: dass du von diesem furchtbar, irgendwie altmodisch männlichen Rollenbild der beiden wegkommst.

00:15:23: Die sind im Prinzip im Original Libretto, sind immer zu Hause und bangen um die Männer draußen, die draußen die Abenteuer erleben.

00:15:30: Das ist halt natürlich wahnsinnig überholt und ist... einfach, da gibt es tausend Gründe,

00:15:35: warum man das irgendwie mit Skalpel und möglicherweise, wenn nötig, auch mit der Brechstange, sich neu zusammen basteln muss,

00:15:43: damit es eben auch so ein heutiges, auch weibliches Publikum sich da irgendwie davon begeistern lässt

00:15:49: oder zumindest auch zu verhalten kann zu diesen Figuren.

00:15:52: Das ist, glaube ich, eine Aufgabe der Oper da neu zu erzählen.

00:15:56: Also das ist eine riesen Arbeit gewesen.

00:15:59: Da ist natürlich auch so, dass du, weil Bregenz ja ein 2-Stunden-Limit hat, also das sind 7000 Leute,

00:16:07: die kannst du nicht in die Pause schicken und wieder holen.

00:16:09: Entsprechend ist bei 2 Stunden Schluss, "Freischütz" ist eigentlich 2,5 Stunden lang,

00:16:13: also da muss eine halbe Stunde raus, sehr viel, ehrlich gesagt, also Text, Musik.

00:16:17: Und da haben wir unheimlich geguckt und eben teilweise Sachen verkürzt,

00:16:24: manchmal auch mit Dialog verschachtelt, auch ein bisschen umgeschrieben.

00:16:29: Also das wird wahrscheinlich nicht allen so gefallen, weil das so natürlich kein Purist, kein Opern Purismus ist,

00:16:35: aber wir haben es ein bisschen, ich sag mal, musicalized oder so.

00:16:39: Also das ist überhaupt jetzt so ein bisschen so ein Charakter der ganzen Aufmerksamkeit,

00:16:43: dass du sagst, du bist relativ flott, du bist schmissig, du bist irgendwie auch so ein bisschen ironisch in den Dialogen.

00:16:51: Du hast diese Bühne, die auch so eine Broadway-Bühne, könnte auch "Into the Woods" am Broadway sein.

00:16:56: Also es hat so eine breite Sinnlichkeit, du hast "Under Scoring" für die Rezitative,

00:17:02: also für die Dialoge wie im Kino, du hast jede Menge Soundeffekte,

00:17:06: die also unseren realistischen Raum auch nochmal wirklich cinematisch erzählen.

00:17:12: Also das wird, glaube ich, eine so eine Rundum-Erfahrung werden, die so ein bisschen,

00:17:18: vielleicht das pure von Opern, nochmal ein Stück mehr, so ins Populäre dreht,

00:17:25: was ich für den Ort Bregenz hier total richtig finde.

00:17:29: [FA] Es gibt noch einen anderen Widerstand, sage ich mal, in der Oper und das ist der Schluss.

00:17:34: Es ist ja eigentlich eine Tragödie, die auch nicht Tragödie zuendet.

00:17:37: Und dann gibt es wie in der Barock-Oper den Deus Ex Machina, den Emerit, der dann sagt,

00:17:42: "Nein, alles ist wieder gut und sie dürfen heiraten".

00:17:45: Die literarische Vorlage geht ja eigentlich tragisch zu Ende.

00:17:49: Und ich weiß, du hast auch immer ein bisschen gehardert mit dem Schluss und wie man das machen kann,

00:17:53: wie man das erzählen kann. Findest du Tragödien passender oder findest du einen tragischen Schluss passender für den Freischütz?

00:18:01: [PS] Ja, ich meine, das hat ein paar Aspekte. Also die Originalgeschichte kommt ja aus dem Gespensterbuch.

00:18:07: Das ist ja so ein ikonisches Werk, wenn du so willst, Kunst-Legenden oder Kunstmoritaten.

00:18:16: Und die Geschichte ist eben richtig hart, weil du letztendlich diesen Schreiber hast,

00:18:23: der einheiraten möchte in diese sehr maskuline Jägerwelt.

00:18:28: Und da natürlich auch als bitter-armer Mann, also hofft sozusagen, diese Erbförsterei einzuheiraten, die ihnen ernähren wird.

00:18:36: Dann hast du diesen Erbförster, der eben keinen Sohn hat, an den er seine Erbförsterei weitergeben kann,

00:18:41: der jetzt ausgerechnet praktisch diesen Schreiber als Schwiegersohn entgegensieht.

00:18:46: Und du hast diesen armen Typen, der eben überhaupt nicht schießen kann

00:18:49: und sich deswegen mit dem dunklen Mächten, mit dem Teufel einlässt, um die Freikugeln zu gießen

00:18:55: und der dafür irre bestraft wird, indem er nämlich dann am Schluss seine eigene Braut erschießt

00:19:00: und dann im Irrenhaus landet. Also das ist ein richtiges, also Moritart ist ja der Titel dafür,

00:19:07: ist einfach eine Geschichte, die schlecht ausgeht und die uns katatisch erinnern soll,

00:19:11: dass wir auf keinen Fall uns mit dem Teufel einlassen sollen.

00:19:14: Also hat eine tolle, ganz einfache Form, ein bisschen fast wie so ein Benkelgesang

00:19:19: oder so eine Passionsgeschichte aus Holzschnitten oder so.

00:19:25: Und Robert Wilson und Tom Waits [Anm.: The Black Rider: The Casting of the Magic Bullets, Komponist: Tom Waits, Regisseur: Robert Wilson] haben das ja dann in dem legendären Black Rider auch verarbeitet so,

00:19:31: die haben eben die Originalgeschichte genommen.

00:19:33: Und bei Weber und Kind seinem Librettist ist es eben so, dass sie diese katholische Errettungswendung dann zugefügt haben.

00:19:43: Wie du eben sagtest, treffend ein richtiges Deus Ex Machina, die Braut wird erschossen

00:19:50: und dann kommt auf die denkbar unglaubwürdigste Weise wird sie vom Eremiten und dem lieben Gott errettet.

00:19:58: Und wo wir jetzt erst noch dachten, sie ist wirklich erschossen worden, kommt plötzlich raus,

00:20:03: es war nur ein Windstoß, der sie umgehauen hat und jetzt wacht sie wieder auf

00:20:08: und alles wird gut und nicht nur das, sie wird errettet, aber auch dem Max, dem Helden, der sich eben diese Verfehlungen gemacht hat,

00:20:18: auch dem wird auch noch verziehen. Also es ist wirklich alles in reines Wohlgefallen

00:20:23: auf was natürlich nach so viel Drama, was total, also jetzt, wenn man es jetzt ansieht, natürlich was Ironisches hat.

00:20:34: Weil wir natürlich in unserer Welt heute, die eben lang nicht mehr so spirituell ist wie vor 100 Jahren,

00:20:42: natürlich diese Errettung doch die milde Kraft Gottes gar nicht mehr so umarmen oder lesen können.

00:20:48: Es ist glaube ich ein Riesenunterschied, wenn wir jetzt im 19. Jahrhundert noch wären,

00:20:52: wo die Kirche noch wirklich an den Herzen der Menschen verankert war, ist es natürlich was du so pur erzählen kannst

00:20:59: und vermutlich haben bei der Uraufführung dann die Leute aufgeatmet, also ach, der liebe Gott hat es gerichtet

00:21:04: und haben das durchaus ernst empfinden können. Aber heute, wo wir selbst wenn wir katholischen, die Kirche mehr was Gesellschaftliches hat,

00:21:13: muss da natürlich ein bisschen schmunzeln, auch weil die Wendung eben dramaturgisch wahnsinnig an den Haaren herbeigezogen ist.

00:21:20: Also das ist ein bisschen die Aufgabe, dass man damit was macht

00:21:25: und da haben wir unheimlich geguckt sozusagen in der Librettoarbeit, wie wir da einen erzählerischen Kniff finden,

00:21:33: damit auf eine lässige und heutige Art umzugehen.

00:21:37: [FA] Herzlichen Dank für deine Zeit.

00:21:39: [PS] Sehr gerne.

00:21:40: [FA] Und wir freuen uns alle auf den Sommer.

00:21:42: [PS] Ich mich auch. Danke.

00:21:43: [FA] Vom 17. Juli bis zum 18. August 2024 zeigen die Bregenzer Festspiele als Spiel auf dem See Carl Maria von Webers "Der Freischütz".

00:21:53: Insgesamt sind 28 Vorstellungen angesetzt. Karten finden Sie unter www.bregenzerfestspiele.com.

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