Der Menschenfeind
Shownotes
Florian Amort, Dramaturg der Bregenzer Festspiele, beleuchtet in dieser Hör-Spiele-Folge Molières Der Menschenfeind. Molière kritisiert in seinen Stücken gesellschaftliche Laster wie Geiz, Karrieresucht und Heuchelei, indem er sie humorvoll entlarvt. Denn seiner Theatertheorie zufolge sollen die Menschen durch die Mittel der Unterhaltung zu Einsicht und Besserung gelangen. In seiner noch heute ungemein zeitgemäßen Komödie Der Menschenfeind hält Molière der Gesellschaft den Spiegel vors Gesicht, wie auch die Inszenierung von Burgtheaterdirektor Martin Kušej, die am 30. und 31. März 2024 in Bregenz zu erleben sein wird, unterstreicht. In den Hauptrollen mit dabei: Itay Tiran als Alceste und Mavie Hörbiger als Célimène.
Mehr zu Der Menschenfeind in Bregenz: https://bregenzerfestspiele.com/de/programm/der-menschenfeind
Musik: © Burgtheater/Bert Wrede
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00:00:00: Hörspiele. Ein Podcast der Bregenzer Festspiele.
00:00:11: Das Werk im Fokus dieser Folge Molières "Der Menschenfeind".
00:00:23: [Musik]
00:00:34: Willkommen in der wunderbaren Welt der Bussi-Bussi- Gesellschaft.
00:00:39: In diesem exklusiven Zirkel tummeln sich die Wichtigtuer und die Selbstverliebten,
00:00:44: die Seitenblicke-Promis, die mehr Zeit damit verbringen,
00:00:48: ihre Garderobe zu kuratieren, als ihre Integrität zu bewahren.
00:00:52: In dieser Welt dreht sich alles um oberflächliche Oberflächlichkeiten,
00:00:57: um die Kunst, belanglose Konversation zu führen.
00:01:00: Man kennt sich, man küsst sich, man macht Selfies -
00:01:04: und am Ende des Tages weiß keiner so wirklich, was er oder sie gemacht hat.
00:01:09: Vorneherum werden Komplimente ausgetauscht, doch hintenrum wird gelästert.
00:01:14: Schöne Welt.
00:01:16: Diese Bussi-Bussi-Gesellschaft gibt es nicht nur heute,
00:01:20: sie gab es auch schon vor über 350 Jahren am Hof von Ludwig XIV. im französischen Versailles.
00:01:27: Stets die Grenze des Sagbaren auslotend
00:01:31: nahm sie der Hofdichter des Sonnenkönigs, Jean-Baptiste Poquelin,
00:01:35: besser bekannt unter seinem Künstlernamen Molière,
00:01:38: in vielen seiner Werke aufs Korn:
00:01:40: Unter anderem auch in "Le Misanthrope", zu Deutsch: "Der Menschenfeind",
00:01:45: eine Komödie in Versen.
00:01:48: Kein Wunder, dass sie bei der Uraufführung am 4. Juni 1666
00:01:53: im Palais Royal in Paris nur mäßigen Beifall errang.
00:01:57: Zu subversiv und neu klangen die beißende Gesellschaftskritik
00:02:01: die Molière bei aller Komödie doch recht ernst verstand.
00:02:05: Molière thematisiert in seinen Stücken gesellschaftliche Laster wie Geiz, Karrieresucht und Heuchelei
00:02:13: und gibt sie der Lächerlichkeit preis.
00:02:15: Denn laut seiner Theatertheorie sollen die Menschen
00:02:18: durch die Mittel der Unterhaltung zu Einsicht und Besserung gelangen.
00:02:22: Durch einen hohen Grad an Aktualität, gut dosierter Politisierung und subversiver,
00:02:28: manchmal aber auch bissiger Dichtkunst hat er das Genre der Komödie
00:02:32: wie kaum ein anderer vor ihm geprägt.
00:02:35: Mehr noch: Molière hat aus der Komödie eine ernstzunehmende Form des Theaters gemacht.
00:02:41: Nicht umsonst gilt er als einer der produktivsten und einflussreichsten Dichter der Frühen Neuzeit.
00:02:47: Und zeitgenössische Quellen berichten, dass zumindest bei manchen Aufführungen seiner Komödien
00:02:53: sich der Hofstaat vor Lachen nicht mehr beruhigen konnte.
00:02:57: [Musik] Doch Molière stieß auch immer wieder in Wespennester.
00:03:07: Er machte sich über das aufkommende Bürgertum lustig,
00:03:10: forderte die Emanzipation der Frau und attackierte etablierte Autoritäten,
00:03:15: allen voran die katholische Kirche.
00:03:18: Molières Mut gefiel dem König, der sich nicht nur einmal schützen vor den Leiter
00:03:23: der Königlichen Theatrotruppe stellte.
00:03:26: Entrüstet war hingegen der extrem konservative, so genannte alte Adel,
00:03:31: den der absolutistisch denkende König Stück für Stück entmachtete.
00:03:36: All diese aufgeblasenen, frömmelnden Hofschranzen mit ihren verlausten Perücken
00:03:41: und gepuderten Gesichtern, die Molière das Leben am Hof vergelten.
00:03:45: Das sind oftmals die direkten Adressaten seiner Komödien.
00:03:50: Auch in seiner noch heute ungemein zeitgemäßen Komödie "Der Menschenfeind"
00:03:56: hält Molière der Gesellschaft den Spiegel vors Gesicht,
00:03:59: wie auch die Inszenierung von Burgtheaterdirektor Martin Kušej unterstreicht.
00:04:04: Zum vierten Mal in Folge gastiert das Burgtheater zu Ostern in Bregenz
00:04:08: und setzt mit Molières "Der Menschenfeind" eine lieb gewonnene Tradition fort.
00:04:13: In den Hauptrollen mit dabei: Itay Tiran als Alceste und Mavie Hörbiger als Célimène..
00:04:20: [Musik] Um was geht es in Molières "Der Menschenfeind"?
00:04:33: Letztlich geht es um die Frage nach dem aufrichtigen Sprechen.
00:04:37: Der nicht mehr ganz so junge Mann Alceste hat die Heuchelei,
00:04:40: die Egomanie, die Gier nach sozialer Anerkennung in der ihn umgebenden Gesellschaft satt.
00:04:46: Seine Ideale sind unbedingte Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit.
00:04:51: Und er ist entschlossen nach diesen Prinzipien zu leben,
00:04:55: selbst wenn es bedeutet, gegen den gesellschaftlichen Strom zu schwimmen.
00:04:59: Was ihn zum Misanthropen, zum Menschenfeind macht.
00:05:03: Denn Alcestes Lebensphilosophie steht den Regeln der zeitgenössischen Kommunikation bei Hof
00:05:11: und in den Salons diametral entgegen.
00:05:14: Permanente Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit gegenüber anderen führen zwangsläufig
00:05:19: zu moralisch ethischen Verstößen gegen den Anstand und den guten Geschmack.
00:05:25: Das war im 17. Jahrhundert nicht recht viel anders als im 21.
00:05:30: wie auch die Nachdichtung aus dem Französischen von Hans Magnus Enzensberger deutlich macht.
00:05:36: "Ach, ich könnte speien, wenn ich euch sehe.
00:05:40: Diese Kichereien und das Küsschen links und rechts.
00:05:43: Ganz ehrlich, sie sind der größte und so toll gefährlich.
00:05:48: Wie ich das hasse, dieses Party-Pack.
00:05:51: Es ist so glanzvoll wie Metallic -Lack.
00:05:54: Der selbe spitze Schrei: You're wonderful, ob er sein Genie ist oder eine Null.
00:06:00: Da werden Lob und Zärtlichkeit zum Hohn und jede Freundschaft frisst die Inflation.
00:06:06: Nein, nein, kein Mensch, der etwas auf sich hält, legt wert auf diese öde Plastikwelt,
00:06:13: wo man sich als die Creme der Creme betrachtet und wo im Grunde keiner keinen achtet."
00:06:20: [Musik] Die Frage nach dem aufrichtigen Sprechen wird von Molière systematisch in unterschiedlichen
00:06:29: und sich immer weiter ins
00:06:31: Groteske steigernden Konversationen thematisiert. Ein Streitgespräch eröffnet die Komödie
00:06:37: und steckt gleichsam die beiden Positionen ab. Alceste macht seinen Freund Philinte große
00:06:43: Vorwürfe. Er habe am Vortag beobachtet, wie Philinte einen unbekannten Umarmte, als würden
00:06:49: sie sich gut kennen. Das sei, so Alceste, ein verlogenes Verhalten und eine nicht zu
00:06:55: akzeptierende Gleichmacherei. Eine Freundschaft brauche Zeit um zu wachsen. Ein Ehrenmann sollte
00:07:02: das eigentlich wissen. Philinte hingegen vertritt die Gegenposition. Denn würde man immer aufrichtig
00:07:08: und ehrlich sprechen, verstieße man gegen die Geselligkeitsformen der Zeit. Und man mache
00:07:14: sich so schlicht lächerlich. Man diskreditiere sich gesellschaftlich selbst und würde dadurch zu
00:07:20: einem unehrenhaften Menschen werden. Das menschliche Verhalten, so Philinte, sei anpassungsfähig und
00:07:26: geschmeidig. Man soll es sich nicht einer rigiden Vernunft unterordnen und andere permanent belehren.
00:07:33: Das Thema Freundschaft spinnt Molière in der nächsten Szene weiter: Der Dichter Oronte,
00:07:39: der wie Alceste um die Hand der jungen Witwe Célimène wirbt, erscheint, und möchte sich der Freundschaft
00:07:46: Alcestes versichern. Der lehnt das Freundschaftsangebot schroff ab. Man müsse sich erst besser
00:07:52: kennenlernen. Oronte hingegen kontert, dass er Alceste dank seiner guten Beziehungen
00:07:58: bei Hof einführen könne. Mit dieser Wendung ökonomisiert Molière gleichsame Freundschaft,
00:08:04: gemäß dem Motto: Eine Freundschaft ist nur so lange gut, wie man davon profitieren kann.
00:08:10: Auf welch wackeligen Beinen eine solche Freundschaft steht, zeigt der zweite Teil des Gesprächs.
00:08:33: Oronte trägt ein schwülstiges Liebesgedicht vor und bittet Alceste um seine ehrliche Kritik.
00:08:40: Alceste erkennt, dass der eigentliche Adressant des Sonnetts Célimène ist. Zu Beginn hält er sich
00:08:47: noch höflich zurück - und verrät somit seinen Grundsatz der radikalen Ehrlichkeit. Später
00:08:53: aber bescheinigt er dem Gedicht dann doch nur Wortspiele und Affektiertheit, die er als Zeichen
00:08:58: für die Eitelkeit des Verfassers interpretiert. Diese Offenheit führt dazu, dass Oronte Alceste
00:09:05: verklagt. Der Untertitel von "Der Menschenfeind" lautet "Der verliebte Melancholiker", eine
00:09:13: etwas widersprüchliche Anlage, die an sich schon komisch ist. Denn Célimène ist genau
00:09:18: das Gegenteil des mürrischen Alceste: Sie ist kokett, oberflächlich und liebt das Spiel
00:09:24: mit den Männern und den sozialen Konventionen. Als Alceste ihr vorwirft, sie würde bei zu
00:09:30: vielen Verehrern zu viele Erwartungen wecken, entgegnet sie im Selbstbewusst, dass sie gar
00:09:35: nicht daran denke, eine eindeutige Entscheidung zu treffen und ihre Flirts mit anderen Männern
00:09:41: einzustellen. Célimène als zweite Hauptfigur gehört ganz der zweite Akt. Nach der berühmt
00:09:48: gewordenen Szene, in der sie ihre Kurzcharakterisierungen verschiedener Männer samt eines wohlfomulierten,
00:09:54: augenzwinkerten Fehlverhaltens zum Besten gibt, kommt es zu einem dramatischen Schlagabtausch:
00:10:00: Arsinoé, die ebenfalls Gefühle für Alceste hegt, berichtet Célimène heuchlerisch von
00:10:06: angeblichen Gerüchten über sie, die hier zu Ohren gekommen seien. Célimène erkennt sofort
00:10:12: die klug geführte Attacke der Nebenbuhlerin und die Szene endet in offener Konfrontation.
00:10:18: Molière zeigt uns hier, dass selbst die Hüterin des indirekten Sprechens und der Höflichkeitsfloskeln,
00:10:24: Célimène, ihre Position angesichts eines frontalen Angriffs auf ihre Ehre nicht durchhalten kann.
00:10:30: Sie muss Farbe bekennen und ihr Gegenüber in die Schranken weisen. Dass die Liebesgeschichte
00:10:38: im Menschenfeind eine tragikomische ist, zeigt nicht nur das groteske Handlungstriangel, wo zwei
00:10:44: Damen der Gesellschaft sich über einen mürrischen Menschenverächter streiten, sondern vor allem
00:10:49: das Ende der Komödie. Alceste, der sich weigert, den Richter zu bestechen und seinen Prozess verliert,
00:10:56: erklärt Célimène überheblich, er würde ihre Verbrechen, also ihre Höflichkeitsformeln,
00:11:01: als Jugendsünden entschuldigen, wenn sie die verkommene Gesellschaft hinter sich lasse und
00:11:07: mit ihm die Einsamkeit suche. Sie verweigert sich diesem Ansinnen. Der Protagonist steht vor
00:11:14: einem Scherbenhaufen und sieht sich unversöhnlich mit der Gesellschaft allein zurück.
00:11:42: Was ist nun das Komische an dieser doch sehr ernsten Komödie? Es ist die Komik des
00:11:48: inkonsequenten Handelns. Nicht nur, dass der Grantler Alceste die Lebedame Célimène liebt,
00:11:54: Molière treibt die beiden im Laufe des Stückes immer weiter in ein Verhalten, die ihrem eigentlichen
00:12:00: Handeln entgegenstehen. Am Ende müssen sie ihre selbst aufgestellten Ideale aufgeben. Die
00:12:07: Beantwortung der eigentlichen Ausgangsfrage bleibt somit offen und Molière überlässt es uns,
00:12:12: was wir über die gezeigten Situationen denken. Der große Spaß im Menschenfeind zeigt sich zudem
00:12:20: in der Dichtkunst Molières und der kongenialen Nachdichtung von Hans Magnus
00:12:25: Enzensberger: Wie sagt Alceste am Ende der Komödie? "Ihr nennts Gesellschaft, ich nenns
00:12:32: Metzgerei. Tut was ihr wollt, mir ist es einerlei. Die Messer hoch und macht einander nieder. Ich steige
00:12:42: aus. Mich seht ihr hier nicht wieder."
00:12:45: [Musik]
00:12:59: [Musik]
00:13:01: [Musik]
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