bumm tschak oder der letzte henker 2025

Shownotes

Ferdinand Schmalz' neuestes Werk bumm tschak oder der letzte henker eröffnet einen kollektiven Denkraum zu gesellschaftlichen Themen: Wie stabil ist die Herrschaftsform der Demokratie – ist sie gar fragil, und was käme nach einem möglichen Zusammenbruch?

In dieser Folge von Hör-Spiele sprechen Moderatorin Maria Gnann und Chefdramaturg Florian Amort über aufkommende Assoziationen, Momente der Selbstentgrenzung und die sprachlich-melodische Komposition dieses Richtspiels – inklusive einer kleinen Kostprobe.

bumm tschak oder der letzte henker ist eine Koproduktion mit dem Burgtheater.

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00:00:00: Hör-Spiele. Ein Podcast der Bregenzer Festspiele.

00:00:19: [Maria Gnann] bumm tschak, Florian. Welche Assoziation lösen diese beiden Worte in dir aus?

00:00:27: [Florian Amort] Das ist natürlich insofern schwierig, weil ich ja schon recherchiert habe und tatsächlich ist es ein Lied von Kraftwerk.

00:00:35: "Boing Boom Tschak" ist ein Lied von Kraftwerk und als Ferdinand Schmalz bei der Veröffentlichung,

00:00:41: dass wir diesen Titel bei den Bregenzer Festspielen machen werden, hat er einen Post auf Instagram gemacht, wo diese Musik untergelegt war.

00:00:48: Und das hat sofort die erste Assoziation bei mir ausgelöst und seither frage ich mich die ganze Zeit:

00:00:52: Was hat das jetzt, dieses "Boing Boom Tschak" mit "bumm tschak oder der letzte henker", wo sind da die Assoziationen,

00:00:58: wo sind da die Inspirationen, und kommen vielleicht sogar die Musik vor in dem Stück selbst?

00:01:05: [Maria Gnann] Oder es geht um einen Beat, um Musik, um Geräusche, die direkt aus dem Körper oder mit dem Körper resonieren.

00:01:13: "bumm tschak" ist ja eine Sprache, die jetzt keinen Sinn per se ergibt, sondern die eher lautmalerisch wirkt.

00:01:21: "bumm tschak oder der letzte henker", so heißt eben das neue Theaterstück des österreichischen Wunderautors Ferdinand Schmalz.

00:01:28: Und um dieses Stück geht es in der Podcastfolge.

00:01:31: Dazu ganz herzlich willkommen. Hier sprechen Florian Amort, der Chefdramaturg der Bregenzer Festspiele, und Maria Gnann.

00:01:37: Ich bin Musikjournalistin und ich freue mich, dass Sie uns zuhören.

00:01:41: Florian, vielleicht erzählst du uns zuerst einmal, worum es eigentlich in diesem neuen Stück geht.

00:01:47: [Florian Amort] Ja, ich würde vielleicht noch eins vorausschicken: Wir sind ja hier zwei Musikgeeks eigentlich, die jetzt über Schauspiel sprechen.

00:01:55: Und trotzdem ist "bumm tschak" eben, wie Maria du gesagt hast, schon die Klangmalerei, und auch die Sprache von Ferdinand Schmalz hat sehr viel mit Klang zu tun.

00:02:03: Und deswegen erlauben wir uns zwei auch einfach mal über Schauspiel zu sprechen.

00:02:08: Ja, um was geht es? Wir befinden uns in einer nicht so weiten von uns entfernten Zeit, also in einer nahen Zukunft, wenn man so möchte, nach einem großen Ereignis, einen großen Eingriff – wie es heißt.

00:02:24: Was das ist, es wird jeder gleich feststellen werden. Und zwar befinden wir uns eben in einem Club.

00:02:32: Wir lernen den Clubbesitzer josef kennen und die Politik hat gewechselt. Es gibt eine Kanzlerin, eine Kanzlerin aus dem rechten oder sogar rechtsextremen Milieu, könnte man meinen.

00:02:44: Und die ganze Stadt ist in Aufruhr – oder das ganze Land ist in Aufruhr – und der Club, den josef betreibt, ist ein IT-Raum, da kommt die Gesellschaft zusammen.

00:02:57: Es ist ein Raum von Eskapismus und von Sich-fallen-lassen, auch ein exklusiver Ort, ein elitärer Ort.

00:03:06: Und in diesem Ort kommt auch die neue Bundeskanzlerin (wahrscheinlich Österreichs) und stellt josef eben, konfrontiert mit einer Sache und zwar möchte sie die Todesstrafe wieder einführen.

00:03:21: Als extremstes Mittel, glaube ich, einer Debatte, die gerade im Kern schon angefangen hat. Und er sollte eben der neue Henker werden und lehnt ab und dann gibt es aber noch eine Liebschaft von ihm, nämlich flo.

00:03:37: Und diese Person – sie wird im Libretto oder im Text als divers bezeichnet – ist ein Aktivistin, sie hat die Bundeskanzlerin mit Blut oder Kunstblut attackiert und wird gefangen genommen.

00:03:50: Und jetzt ist eben die Frage: Was macht josef? Exekutiert er im Namen der "kanzlerin" bzw. im Namen des neuen Staates Menschen, um dadurch seine:n flo zu retten oder nicht?

00:04:04: Und das ist eben die Frage, die in dem Stück verhandelt wird und es geht noch weiter. Aber mal gucken, ob wir soweit kommen, wir wollen ja auch nicht alles verraten.

00:04:12: [Maria Gnann] Absolut. Ja, die "kanzlerin" wird als "die Autokratin" bezeichnet, und Ferdinand Schmalz – habe ich in einem Interview gelesen – möchte im Theater gesellschaftlich relevanten Themen einen kollektiven Denkraum bieten.

00:04:24: Was für ein Denkraum tut sich da auf, in "bumm tschak oder der letzte henker"?

00:04:30: [Florian Amort] Man muss wissen, dass es eine Koproduktion ist und ein Auftragswerk des Burgtheaters, zusammen mit den Bregenzer Festspielen. Und dieses Stück ist entstanden in einer für Österreich – oder für ganz Europa, wenn man so möchte – eigentlich paradigmatischen Zeit: Und zwar ist es entstanden, als in Österreich die Möglichkeit war, dass die FPÖ – also die konservative, rechtskonservative Partei Österreichs – den Bundeskanzler stellt mit Herbert Kickl.

00:04:59: Und Ferdinand Schmalz war auch einer der Ersten, der zusammen mit vielen anderen auf dem Ballhausplatz demonstrieren war, gegen diese mögliche Kanzlerstellung der FPÖ.

00:05:11: Und in dieser Zeit ist eben dieses Stück entstanden und deswegen ist es ein dezidiert politisches Stück. Man soll es aber, glaube ich, nicht nur als Teil einer österreichischen aktuellen politischen Debatte lesen, sondern man kann es eigentlich auf jeden autokraten Staat

00:05:27: oder zur Tendenz, dass es einen Umschlag gibt – das könnte, glaube ich, auch in Ungarn, in Polen, sogar in den Vereinigten Staaten, vielleicht in einer anderen Zeit.

00:05:37: Also, es kann in ganz unterschiedlichen, sozusagen ganz konkreten Räumen spielen, aber auch nur die Idee, die Idee dieses Konservativen ist vielleicht dann auch noch eine Rolle in diesem Stück.

00:05:49: Und Ferdinand Schmalz sagt auch in einem Interview: Es ginge nicht darum, wie man zu dieser Krise kommt, also wie man eigentlich einen Machtumsturz von politischen Kräften, wie man dazu kommt, sondern es geht um das danach.

00:06:02: Es geht eigentlich, wenn sozusagen der Wechsel vollzogen ist, was dann passiert.

00:06:08: Das findet er eigentlich, dass um was es in "bumm tschak oder der letzte henke" geht, und das demonstriert er auch an drei Tagen, also dieses Stück dauert eine Stunde 45 Minuten und ist in drei Tage aufgegliedert.

00:06:22: [Maria Gnann] Ein Denkraum in drei Tagen quasi über autoritäre Herrschaftsformen – könnte man sagen – und soll – so verstehe ich das zumindest – schon aufzeigen, wie fragil eben eine Demokratie ist.

00:06:35: Also, als ich das Stück gelesen hatte, dachte ich, man könnte es schon auch so als ein Aufruf zum Widerstand oder zumindest als Mahnung interpretieren.

00:06:45: Ich habe mir dann auch überlegt, was ich tun würde, wenn eine meiner Schwestern im Gefängnis sitzen würde, in einem solchen Regime, ja, in einem Staat, der quasi einer Person unterworfen ist und richten kann, wen und wie er will.

00:06:57: Und ich könnte sie rausholen, indem ich die Henkerin spiele, dann wäre mal wahrscheinlich mein erster Impuls zu sagen, "ich mache das", aber ja, es ist natürlich null Widerstand, das ist Unterwerfung, wobei wir noch nicht verraten, ob josef zum Henker wird oder nicht.

00:07:14: Die Hauptperson, josef, heißt ja nicht zufällig Josef, sondern der Name spielt auf den letzten Scharfrichter Österreich-Ungarns an: auf Josef Lang, der zwischen 1900 und 1918 Todesurteile vollstreckt hat, insgesamt waren es 39. Ist der Name in Österreich sehr bekannt?

00:07:35: [Florian Amort] Also, ich glaube nicht, ich habe zumindest mal ein bisschen rumgefragt und niemand kannte diesen Namen. Ich kannte den Namen, weil ich mal in dem Bezirksmuseum in Simmering war und er auf dem Friedhof in Simmering beerdigt ist, und da hat auch eine kleine Ausstellung über diesen letzten Scharfrichter Österreich-Ungarns eben zu sehen ist und daher kannte ich den Namen.

00:07:55: Und man kennt vor allem, wenn man ein bisschen literaturaffin ist und Erstausgaben mag, in Karl Kraus "die letzten Tage der Menschheit" ist auf der Titelseite ein Bild, wo Josef Lang bereits einen Deliquenten erhängt hat und das hat Karl Kraus eben bei der Erstausgabe genommen, um auch nochmal ein ganz erschütterndes Bild aus der aktuellen Zeit – seiner Zeit – zu nehmen und daher kennt man vielleicht den Namen.

00:08:20: [Maria Gnann] Ja, auf diesem Foto lächelt er, und du hast Simmering angesprochen, weil Josef Lang war, bevor er zum Henker wurde, Kaffeehausbetreiber in Simmering, heute der 11. Gemeindebezirk in Wien, aber damals ein kleiner Vorort.

00:08:35: Gibt es Gemeinsamkeiten von der wirklichen Josef-Lang-Person, die 1925 in Wien gestorben ist, und josef in dem Theaterstück 100 Jahre später?

00:08:46: [Florian Amort] Ich würde mal sagen, die Funktion ist vielleicht vergleichbar: Kaffeehausbetreiber – Clubbesitzer. Die Wiener Kaffeehauskultur hat etwas Eskapistisches, finde ich, und auch ein Club hat ja eher was, was man eben als "Gegenort" bezeichnen kann.

00:09:01: Im Kaffeehaus wird vielleicht ein bisschen früher – könnte ich mir das vorstellen –, wurde ein bisschen mehr Konservation betrieben, im Sinne von: Debatten wurden geführt, es wurde viel mehr erzählt.

00:09:12: In einem Club geht es ja eher um Selbstveräußerung, man redet ja nicht in einem Club drüber und führt tiefgehende Unterhaltungen, sondern man tanzt gemeinsam, aber es ist auf alle Fälle ein "Gegenort" – ein Ort, der in irgendeiner Form gegen Öffentlichkeit darstellt.

00:09:27: Ich meine, auch im Kaffeehaus gibt es das Séparée beispielsweise, um etwas abgeschiedener zu sein – auch das gibt es in einem Club, das man sich auch zurückziehen kann und so.

00:09:37: Das würde ich sagen sind so funktionale Rahmenbedingungen, und vielleicht muss man jetzt doch ein klein wenig verraten, in dem Sinne, dass halt: Egal ob er jetzt tatsächlich, also der josef im Stück jemanden umgebracht hat oder nicht, manche Leute glauben, er hat es gemacht.

00:09:54: Und als Josef Lang – der historische Josef Lang – gestorben ist, war die Anteilnahme riesengroß, es wurde ein riesengroßer Trauerzug gemacht, er wurde in Ehren verabschiedet, also es war überhaupt nicht so, dass man sagen würde, hier wird ein Mörder zu Grabe getragen, sondern es ist der Henker der Monarchie eben – oder der letzten Monarchie, er ist ja nach dem Ersten Weltkrieg gestorben.

00:10:17: Und die Anteilnahme war wahnsinnig groß, und man merkt auch bei dem josef in dem Stück, dass ihm jetzt nicht zum Nachteil gereicht, sondern die Leute eigentlich irgendwie fasziniert sind von dem und das Spektakel wollen.

00:10:30: Und da ist es vielleicht auch noch spannend zu sehen, es gibt in dem Libretto – oder in dem Text –, das Ferdinand Schmalz mir geschickt hat, beziehungsweise des Booktheater, auch ein Lied von Death Grips mit dem Titel "Guillotine (yeah)".

00:10:46: Also, es gibt tatsächlich auch in gewisser Weise eine Faszination für – ja, man muss es fast sagen – ritualisierte Exekution.

00:10:54: Und dieses Faszinosum ist total befremdend, aber es ist halt ein Faszinosum trotzdem.

00:11:00: [Maria Gnann] Man kann vielleicht noch dazu sagen, dass eben dieses Stück "Guillotine" von Death Grips, daraus steht ein kleiner Auszug von dem Text quasi vor dem eigentlichen Theaterstück zusammen mit zwei anderen Zitaten.

00:11:13: Ja, du hast die Beliebtheit angesprochen von Josef Lang damals und genau das hat wohl auch Ferdinand Schmalz interessiert, weil Henker waren jetzt nicht grundsätzlich beliebt bei der Bevölkerung.

00:11:24: Josef Lang hat offenbar eine sehr große Anziehungskraft ausgestrahlt, also er war irgendwie ein besonderer Henker, wollte die Leute auch nicht unnötig quälen, galt als Perfektionist am Galgen, weil er nur unter 60 Sekunden brauchte.

00:11:38: Also, es hat schon was sehr morbides, aber ein Unterschied ist, dass der historische Josef Lang sich wirklich als Arm der Gerechtigkeit empfand, der eben zum Wohl der Gesellschaft handelt und in dem Stück ist das definitiv anders.

00:11:51: Da tut sich für josef ja ein Zwiespalt auf. Was ich auch noch sehr interessant fand zu diesem historischen Josef Lang, dass er sich offenbar sehr schick gemacht hat für die Hinrichtungen.

00:12:03: Also, er wirkte am Galgen im schwarzen Salonanzug, Zylinder und schwarzen Lederhandschuhen, und schon 1901 hat die "Neue Freie Presse" geschrieben, das habe den Anschein, als würde Lang "zu einem Balle kommen, um im Tanze mit dem Delinquenten diesen in eine andere Welt zu befördern".

00:12:23: Und das fand ich irgendwie so interessant, weil vielleicht ist auch Ferdinand Schmalz bei seinen Recherchen auf diesen Satz gestoßen, zumindest hat er das Wort Delinquent ja auch für sein Theaterstück übernommen, also die Person, die Josef ermorden soll, ist der Delinquent.

00:12:38: Und die Welt des Tanzes spielt ja eben auch eine große Rolle durch den Club, das fand ich irgendwie ja interessant, also so eine Art von – vielleicht auch – Totentanz.

00:12:48: Ja, über die Tierschwelle zu josefs Club soll der Besucher in einen freien, vielleicht sogar demokratischen Raum gelangen, die Tür ist tatsächlich eine Rolle in dem Stück, sie heißt "die strenge tür" auch irgendwie sehr pfiffig. Ist für dich, Florian, ein Szeneclub ein Schutzraum und lässt sich Tanzen als Widerstand begreifen?

00:13:14: [Florian Amort] Ja, auch jetzt wird es wieder sehr persönlich. Ich glaube, ich bin nicht der Richtige dafür: ich bin äußerst selten in einem Szeneclub unterwegs.

00:13:23: Was ich spannend finde ist, dass es schon diesen Raum des Exklusiven gibt, im Sinne von Handys sind dann zum Beispiel nicht zugelassen oder Fotos soll nicht gemacht werden, Kameras werden abgeklebt.

00:13:34: Das hat ja schon etwas von "es soll ein privater Ort bleiben", "ein Ort, der nicht dokumentiert wird", auch eine gewisse Freizügigkeit eben auch erlaubt.

00:13:45: Es ist auch, würde ich sagen, daher kein demokratischer Ort, weil man Eintritt zahlen muss in den meisten Fällen und auch die Eintritte je nach IT-Veranstaltung auch ganz schön teuer werden können.

00:13:59: Und es wird halt auch ein – also, meistens gibt es auf dem Hauptdance Floor ja auch eine Musikrichtung, die gespielt wird, es gibt dann zwar noch ein paar andere –, aber ich finde es zumindest spannend, dieser Moment der Selbstentgrenzung.

00:14:12: Ich glaube, wir sind in der Welt, die vor allem über Kontrolle herrscht, also Selbstkontrolle, Selbstoptimierung und dass der Club als Ort einer Selbstentgrenzung schon reizvoll ist für ganz unterschiedliche Personen.

00:14:28: Vor allem auch Leute, die ein sehr von Dominanz geprägtes Arbeitsalltag haben, zum Beispiel oder so. Ich kann mir das schon vorstellen – ob es deswegen demokratischer ist, weiß ich nicht, ich glaube, es ist ein ehrlicher Raum.

00:14:43: [Maria Gnann] Dieser Moment der Entgrenzung, da würde ich dir auf jeden Fall auch zustimmen und die Schergen, die ja diesen Raum auch aufsuchen und die Tür überlisten, die sagen, glaube ich, auch an einer Stelle in dem Stück "wir wollen die Sau rauslassen".

00:14:58: Das klingt sehr flapsig oder vulgär, aber im Grunde entspricht es dem, was du gerade schöner ausgedrückt hast oder eleganter.

00:15:06: Und ich glaube schon, dass es für viele Menschen auch so ein Gefühl von "ich bin jetzt hier in diesem Moment, ich lasse den Alltag, die Außenwelt einfach mal draußen" und insofern ist es vielleicht schon auch ein geschützter Raum bzw. ein Raum, der sich auftut, parallel zur Realität, Fragezeichen.

00:15:28: [Florian Amort] Es ist vor allem ein Raum, der völlige Gegenwart ist. Man denkt, glaube ich, im Club nicht an Vergangenheit, man denkt im Club nicht an die Zukunft, sondern es ist der Moment, in dem man aktuell ist.

00:15:39: Und das ist ja schon ein sehr spannender Ort, weil ich wüsste, höchstens vielleicht im Theater und in der Oper oder im Konzert, dass wirklich der aktuelle Moment, die Präsenz des Jetzt, Gegenwart spüren, so deutlich wird.

00:15:55: [Maria Gnann] Und man wird ja dann auch eins mit dem Beat, der in dem Moment passiert. Der Club von josef heißt "schafott", und um Mitternacht wird eine Melone zum Spaß geköpft und er ähnelt auf der Bühne einem Gefängnisraum.

00:16:10: So schreibt es Ferdinand Schmalz tatsächlich vor. Warum? Was glaubst du?

00:16:17: [Florian Amort] Also, ich glaube auch, dass in so einer, also Club ist in einer vom Entertainment dann dieses – man kennt das auch von so einer Zaubershow, zum Beispiel: Es wird irgendwie eine Box durchgeschnitten und am Ende lebt trotzdem die Person, die da drin war.

00:16:34: Diese Guillotine, die man dort sieht, wo diese Melone geköpft wird, ist sozusagen das Moment.

00:16:40: [Maria Gnann] Vielleicht auch ein Ritual, das so zusammenschweißt.

00:16:43: [Florian Amort] Total, ich habe das, was ich gespürt habe, war eine Assoziation: Und zwar gibt es in Paris einen Gay-Club, wo pünktlich um Mitternacht die Jalousien runtergefahren werden und dann gibt es da jemand, der eben duscht, also nackt

00:16:56: duscht natürlich und es ist immer so schön getimed: immer um zwölf, um zwei, um drei...

00:17:01: Das hat was Ritualisiertes – ich hatte es damals total befremdet, dass es so ritualisiert

00:17:06: war, wo es ja eigentlich um was anderes geht, aber es ist halt dieser Event-Charakter, deswegen

00:17:11: gehen die Leute hin, deswegen ist das immer voll und ich könnte mir vorstellen, diese

00:17:14: Guillotine als "Special Act", als große Unterhaltung, um die es ja geht, und eine Melone ist ja

00:17:21: erst einmal nur eine Melone und es steht auch in dem Stück, dass sich dann das Publikum

00:17:25: an den Fleischsaft irgendwie labt oder so, gibt es einen kleinen Satz.

00:17:29: Also, es ist ein starkes Bild, was ganz viele Assoziationen wieder auch auslöst, wenn man

00:17:36: überlegt, für was die Guillotine ja eigentlich da war, und was dann das Fleisch einer Wassermelone

00:17:42: für eine Assoziation eben auch auslöst. Also, es ist die Gefahr der Guillotine wird nicht

00:17:48: bagatellisiert, man hat immer noch die Gefahr, weil es ja immer noch ein echtes Messer ist,

00:17:52: das da runter rauscht und auf der anderen Seite, war halt nur eine Melone.

00:17:57: [Maria Gnann] Ja, und es wirkt erstmal auch einfach wie eine coole Idee, diesen Club auch in ein Gefängnisraum

00:18:05: zu verwandeln, weil so äußerlich haben sie ja schon Ähnlichkeiten: Also, es sind beides

00:18:11: eher düstere Räume, wenig Fenster, nackte Wände vielleicht, es kann schon auch vielleicht

00:18:19: Klaustrophobie auslösen, oder es lässt auf jeden Fall viel Raum zur Interpretation, warum

00:18:25: der Club auch ein Gefängnisraum sein soll. Hast du die Bühne schon gesehen?

00:18:29: [Florian Amort] Ich habe die Bühne noch nicht gesehen, ich habe ein paar Fotos gesehen, bin aber selber

00:18:35: gespannt. Das Buchtheater hat gerade im Jahr Pause, kommt aber ja schon dann sehr bald hier

00:18:41: zum Probieren und dann ist auch bald schon die Premiere, also ich freue mich sehr, ich bin

00:18:44: sehr gespannt, wie das werden wird.

00:18:47: [Maria Gnann] Ja, die Aufführung entsteht eben in Zusammenarbeit mit dem Burgtheater, wie du schon gesagt hast,

00:18:51: die Uraufführung findet in Bregenz statt, und im September eröffnet es tatsächlich die

00:18:56: Burgtheater-Saison in Wien, das Burgtheater kommt auch mit meisterlichem Charakter-Ensemble,

00:19:01: mit Max Simonischek in der Hauptrolle, und inszenieren tut es der künstlerische Direktor

00:19:06: höchstpersönlich, Stefan Bachmann.

00:19:09: Er hat ja schon einmal ein Stück von Ferdinand Schmalz inszeniert, "Jedermann (stirbt)",

00:19:15: eine Neufassung von Hofmannsthals berühmtem Mysterienspiel. Diese Neufassung

00:19:21: wurde auch 2018 mit dem Nestroy Theaterpreis ausgezeichnet, und damals hat Bachmann den

00:19:25: Text von Schmalz manchmal wie eine sehr beeindruckende Sprechoper inszeniert. Weißt

00:19:32: du, wie er sich dieses Mal dem Text nähert, in "bumm tschak oder der letzte henker"?

00:19:39: [Florian Amort] Also, ich weiß nicht so viel tatsächlich darüber, weil die Produktion ist – wie gesagt – am Burgtheater

00:19:46: entstanden und die habe ich nicht dramaturgisch begleitet, da gab es eine Kollegin. Ich könnte

00:19:52: mir aber vorstellen, diese Sprache von Ferdinand Schmalz ist sehr musikalisch, das ist nicht

00:19:57: ganz leicht zu lesen in dem Sinne, weil er nur kleine Buchstaben verwendet, also keine

00:20:01: Großschreibung, so muss man sich dann erstmal einlesen muss, und ich habe gemerkt

00:20:06: vor allem wenn man das laut sich vorliest, ist es leichter als wenn man es nur liest,

00:20:12: also diese Sprache ist sehr musikalisch, also diese Sprechoper, dieser Begriff, den kann

00:20:18: ich sehr gut nachvollziehen, zum Beispiel ich habe noch nie in meinem ganzen Leben zwischen

00:20:23: Fall, Beil und Beifall irgendwie mal nachgedacht und das ist mir sofort aufgefallen, also

00:20:30: einfach nur zwei Silben vertauschen, und da gibt es ja eigentlich keine Assoziation, die

00:20:35: ist mir jetzt in irgendeiner Form zusammen denken würde, aber nur durch den Klang kommt

00:20:40: so etwas raus und man ist sehr fasziniert davon.

00:20:43: [Maria Gnann] Ja, ich finde auch: Es wirkt wie so ein Komponist, der sehr verspielt eben an Worte rangeht, komponieren

00:20:48: im eigentlichen Sinne, also die Neuzusammensetzung, weil man kann vielleicht auch noch dazu sagen,

00:20:54: dass Ferdinand Schmalz oft auch die Grammatik verändert, also er komponiert Sätze neu – du

00:21:01: hast auch schon die Kleinschreibung angesprochen, da muss ich auch an Musik denken, ich habe

00:21:05: irgendwie an die Zwölftontechnik in der Musik à la Arnold Schönberg gedacht, so eine Gleichberechtigung

00:21:10: aller Buchstaben, keine Ahnung ob das dahinter steht, aber es hatte irgendwie so dadurch

00:21:15: weniger Hierarchie oder zumindest dachte ich, könnte das so gemeint sein, würde jedenfalls

00:21:19: zu ihm passen, was man halt alles so reininterpretiert und er jongliert dann eben wirklich mit diesen

00:21:24: Satzstrukturen sehr musikalisch, wie du sagst, also wie ein Sprachkomponist, erinnert einen

00:21:30: auch, finde ich, an tschechische Schriftsteller wie irgendwie Kafka oder Jan Faktor, so

00:21:34: dieses Spiel damit, das hat mich auch wirklich beeindruckt und ja, vielleicht könnte man

00:21:40: auch von einer Destruktion sprechen, er selbst heißt ja auch nicht Ferdinand Schmalz, sondern

00:21:46: eigentlich Matthias Schweiger, also auch da eine komplette Neuschreibung. Glaubst du,

00:21:51: dass ist so sein Motto, also Worte oder Sätze dekonstruieren, um Neues daraus entstehen

00:21:57: zu lassen?

00:21:58: [Florian Amort] Ich glaube, er ist vor allem ein Schriftsteller, der sagt, Sprache ist nichts Gottgegebenes,

00:22:03: sondern wird immer mit gewissen Absichten verwendet, und Sprache ist nicht unschuldig,

00:22:11: sondern es wird immer um Worte gerungen – war mal, glaube ich, auch ein Satz, den er

00:22:15: selber gesagt hat –, also, und ein Feingefühl für Sprache zu bekommen, ist unglaublich wichtig,

00:22:23: und das lernt man oder erfährt man auf einer ganz emotionalen Weise auch bei dieser Sprache,

00:22:29: weil man merkt, wie Irritationen ausgelöst werden, weil man denkt so, das ist jetzt kein

00:22:35: grammatikalischer Schul-Satz und dann überlegt man mal, okay, was hat er jetzt anders gemacht

00:22:40: und dann merkt man, ach, der Satz ist ja viel offener gemeint, den kann ich je nach Betonung

00:22:45: hat er eine andere Bedeutung, je nach Interpunktion kann ich den anders lesen, also, es ist wirklich

00:22:51: ein Sprachkunstwerk, wenn man sich das ansieht. Man muss auch sagen, ich glaube eben als Musikwissenschaftler

00:22:57: findet man, wenn jemand so mit Sprache umgeht, ist wahnsinnig spannend, wahrscheinlich findet

00:23:02: Literaturwissenschaftler das total langweilig und finden total spannend, was Komponistinnen

00:23:06: und Komponisten, es ist immer so eine Fremd-Assoziation und so eine Fremdbegeisterung, die da rauskommt,

00:23:11: ich habe das sehr gemocht und habe eben dann schon gemerkt, auch diese, zum Beispiel, es

00:23:16: gibt diese zwei Schergen, von denen du auch erwähnt hast, das ist ja wie so ein Art Pingpong-Spiel,

00:23:21: und man soll auch sagen bei diesem ganzen ernsten Thema, es ist auch eine Satire, in vielen Zügen

00:23:28: ist es ein total komischer Inhalt, das auch eine total komische Sprache und einen total

00:23:33: komischen Rhythmus nach sich zieht, in dem zum Beispiel die Sätze unterbrochen werden,

00:23:36: sie sich ergänzen, dann doch nochmal gemeinsam sagen, dann doch nochmal einen Nachsatz reingeschoben

00:23:40: wird – also, das finde ich unfassbar stark, was eben diese, welche Möglichkeit diese Sprache

00:23:48: hat. [Maria Gnann] Lustig, poetisch und auch ein bisschen vulgär, und was auch sehr musikalisch wirkt, ist,

00:23:55: er schreibt tatsächlich Pausen vor, also in seinem Manuskript steht dann eben "ein Beat / ein"

00:24:00: , "zwei Beat / zwei", "drei / drei" – das scheint auch offenbar sehr

00:24:05: wichtig zu sein, ganz bestimmte Zeiten da einzuhalten, was ja dann auch ein Rhythmus kreiert.

00:24:10: [Florian Amort] Und ich meine, wir reden hier, wir machen auch nicht deutsche vollständige Sätze, wir

00:24:16: korrigieren auch inzwischen drinnen mal. Es ist eine Sprache, die sehr natürlich ist

00:24:21: und trotzdem so unfassbar konstruiert im besten Sinne – also, komponiert im besten Sinne – und

00:24:27: das finde ich das eigentlich Widersprüchliche: Man hat eine Sprache, die man wirklich lesen

00:24:32: kann, die so wir auch beide sprechen könnten und es ist aber total konstruiert, also, es

00:24:39: ist eine Heidenarbeit, glaube ich, diese Sprache zu schreiben, wie sie Ferdinand Schmalz

00:24:43: hier schreibt.

00:24:44: [Maria Gnann] Ja, und ich dachte schon auch, dass es sehr intellektuell ist auf eine Art, weil man sich

00:24:48: es a) auch leisten können muss, so über die Sprache zu urteilen, also, Worte auszulassen

00:24:55: und so, und auch diese, wie er manche Worte kreiert, also, es gibt zum Beispiel die Figur

00:25:00: der flamboyanza, die ich übrigens sehr liebe, ich finde die großartig. Ja, sie ist blind,

00:25:06: aber sieht natürlich mehr als manch andere – wie so oft in der Literaturgeschichte ist es

00:25:13: ja schon ein gängiges Motiv, auch in der Oper, bei "Œdipe" hatten wir das auch: ein Blinder

00:25:20: sieht eben oft mehr. Und ja, so ein Wort wie "flamboyanza" zu kreieren, also ein Fremdwort,

00:25:26: das dann irgendwie erinnert an "flamboyant", also auch "extravagant", aber auch an "Larmoyanz",

00:25:32: musste ich denken und so, ja, das fand ich schon auch sehr, sehr intellektuell.

00:25:38: [Florian Amort] Ja, ich möchte auch unbedingt mich mit ihm noch treffen, wir hatten nur ein bisschen

00:25:41: E-Mail-Kontakt, aber es gibt so Punkte, wo ich mich auch so frag: War das jetzt irgendwie

00:25:45: eine Inspiration, war das absichtlich oder einfach nur eine Coherenz, wir haben Œdipe

00:25:50: mit dem Augenlicht und Nichtsehen und Sehen, also flamboyanza, die blind ist und Œdipe,

00:25:55: der ja blind wird, dann das Schicksal, was auch öfters mal in diesem Text so kurz angerissen

00:26:00: wird, dann haben wir auch das mit diesem flo, dass das eine diverse Person ist – das war

00:26:05: ja als ich den Teaser gelesen habe noch gar nicht klar, ich habe das so interpretiert,

00:26:09: das kam dann –, dann kommt unter anderem auch eine Händeloper vor, was ich natürlich auch

00:26:13: spannend finde, die Musik von Händel, um so eine gewisse Historie nochmal aufzugreifen,

00:26:19: Also, es gibt so, man erwischt sich selber beim Lesen, irgendwie der denkt so: Hey, das hat

00:26:24: ja irgendwie gerade was total damit zu tun, was mein Leben gerade betrifft. Und ich weiß

00:26:28: überhaupt nicht, ob das in irgendeiner Form beabsichtigt war oder ob wirklich das

00:26:32: auch – ist ja auch ein Kunstwerk, dass man einen Text produziert, wo jeder einen Zugang

00:26:36: findet und bei mir sind es halt andere Stellen wahrscheinlich gewesen, als es bei dir war.

00:26:43: Und da möchte ich unbedingt mal mit ihm sprechen, wie er eigentlich so arbeitet, vor allem

00:26:47: weil er ja dieses Stück doch auch in einem gewissen Rausch geschrieben hat: Wenn man

00:26:53: sich vorstellt, im Februar war er noch mittendrin in der Textarbeit, jetzt ist es Juli und

00:26:58: die probieren aber schon seit mindestens einem Monat, dann ist ja zwischen der Konzeption

00:27:04: und der Realisierung nicht sehr viel Zeit vergangen.

00:27:07: [Maria Gnann] Stimmt und offenbar arbeitet er auch noch weiter daran, weil in diesem Text, den du

00:27:11: mir geschickt, da stand auch, glaube ich, "Stand Ende Juni" oder so, also das war

00:27:16: ja dann auch nochmal aktualisiert. Bei dir ist das Wort "Beifall" oder "Fallbeil" hängen

00:27:22: geblieben, gibt es noch ein anderes?

00:27:24: [Florian Amort] Ja, schon und zwar, die Figur der "kanzlerin" fand ich ganz spannend, weil – ich würde nicht

00:27:29: sagen, dass die Sprache anders funktioniert, aber – es ist schon eine Sprache, die sich in

00:27:34: irgendeiner Form abhebt, weil mit Versatzstücken gearbeitet wird, die ich so auch aus Reden 

00:27:41: anderer rechter Politikerinnen vor allem kenne, und das so ganz anders funktioniert als in

00:27:47: der Sprache von flo, von den schergen und von josef, also dass da eine andere Sprachebene

00:27:53: gesucht wird. Und was ja auch auffällt, ist, dass eben rechte Politikerinnen und Politiker

00:27:59: sprachlicher durchaus auch sehr rhetorisch bewandert sind, das ist ja nicht so, dass

00:28:04: die irgendwie keinen geraden Satz rausbringen, sondern dass es eine geschliffene Sprache

00:28:09: ist und dass die hier auch vorkommt – jetzt nicht so, dass man sagt, das ist jetzt ein

00:28:15: Text, der von irgendjemanden zitiert wird –, aber es sind so Worte auf einmal, so Versatzstücke,

00:28:20: die die Assoziationen bei einem auslösen. Und das funktioniert ganz oft: Es kommt zum Beispiel

00:28:27: der Begriff "Machtergreifung" vor, da hat man natürlich einen historischen Bezug zu 1933,

00:28:32: es kommt aber auch zum Beispiel, dass in einem Fall die kanzlerin nicht gendert. In der Sprache

00:28:38: ist zum Beispiel ja ein Mini-Detail, aber nachdem es sonst eine Sprache ist, die sehr gendersensibel

00:28:45: arbeitet und bei wenn die kanzlerin auftritt eben nicht, dass also durch die Abwesenheit

00:28:50: einer Sensibilisierung man eigentlich merkt, welches Geistes Kind hier spricht – das sind

00:28:56: so Details, die ich unglaublich spannend finde.

00:28:59: [Maria Gnann] Das Wort, das mir auch hängen geblieben ist, das hat damit auch zu tun, und zwar "Fleck",

00:29:04: also a) stellt er das auch in einen dieser drei Zitate dem Stück voran, darunter befindet

00:29:09: sich eben nicht nur ein Zitat der US-amerikanischen Band "Death Grips", sondern auch eines von

00:29:17: dem französischen Philosophen Jacques Derrida und von dem slowenischen Philosophen Slavoj

00:29:24: Žižek.

00:29:25: Das lautet: "Der Henker ist ein kontingenter, pathologischer Fleck" und – also, das meint der

00:29:31: Henker sei ein nicht notwendiger, aber möglicher krankhafter Fleck, also ein krankhafter Fleck

00:29:37: der Menschheit, so interpretiere ich das – gleichzeitig spricht die Autokratin – und das kennt man

00:29:43: auch von rechtsextremen Reden – immer wieder von "Säubern". Dabei könnte man sie ja eigentlich

00:29:49: als die "Queen der schmutzigen Geschäfte" bezeichnen, und klar, Ferdinand Schmalz spielt

00:29:54: natürlich mit dem Wort "Fleck": Es gibt blinde Flecken, unbefleckte Träume, bunte Flecken –

00:29:59: also, das ist bei mir sehr hängen geblieben.

00:30:02: [Florian Amort] Und zum Beispiel auch ein Satz "Der Misthaufen des Universums" – das ist natürlich auch ein ganz

00:30:07: berühmtes Zitat von Gauland anspielt, ein AfD-Politiker, über den Misthaufen der Geschichte.

00:30:14: Also, es sind so kleine Worte, die aber so gebranded sind, und was ich an dieser Sache

00:30:19: spannend finde, ist: Ich könnte mir vorstellen, wenn man im 18. Jahrhundert einen Text geschrieben

00:30:24: hat, im 17. Jahrhundert, im 16. Jahrhundert, im 19. Jahrhundert, egal, dass die Leute genauso

00:30:28: sensibel auf diese Reizworte reagiert haben, die wir aber gar nicht mehr kennen, und wir

00:30:34: müssten eine heiden historische Arbeit machen und selbst dann kommen wir nur ganz entfernt

00:30:38: an diese Sache ran. Und genauso wie man vielleicht im Jahr 2222 nicht weiß, was jetzt "Misthaufen"

00:30:46: bedeutet, weiß man natürlich jetzt im Jahr 2025 durchaus, dass dieser "Misthaufen der

00:30:51: Geschichte", "Misthaufen des Universums" eine ganz deutliche Assoziation an etwas Konkretes

00:30:56: hat, und es ist so versteckt und trotzdem kommt es sofort als Assoziation auf.

00:31:00: [Maria Gnann] Ich musste auch an diese Geburtstagsfeier von der FAZ denken, bei der AfD-Abgeordnete

00:31:07: erschienen sind, und da gibt es einen Lied, das Jan Böhmermann gesungen hat danach, das

00:31:13: heißt "Licht an, Licht an, Nazi auf der Party", so singt er das irgendwie, und eben wenn dann

00:31:19: die schergen oder auch die kanzlerin in diesen Club eindringt, da hatte ich auch absolut

00:31:24: diese Assoziation. Ja, das ist sehr spannend, wir könnten noch sehr lange darüber sprechen.

00:31:29: Ich würde sagen zum Abschluss gibt es eine kleine Kostprobe aus dem Stück, die wir jetzt

00:31:36: lesen und zwar liest Florian jetzt den "josef" und ich "die strenge tür":

00:31:41: [Florian Amort] Was siehst du mich so an?

00:31:43: [Maria Gnann] Du weißt es, hoff ich, selbst, dass das hier gerade schlecht entschieden war.

00:31:47: [Florian Amort] Ich halte mich aus solchen Dingen raus.

00:31:49: [Maria Gnann] Glaubst du?

00:31:50: [Florian Amort] Ich als der Club, ich bleibe offen.

00:31:53: [Maria Gnann] Du drückst dich bloß vor der Entscheidung und merkst es nicht einmal, und dass ich das

00:31:58: Verschluckte – das Weggeduckte –, schlägt sich auf den Magen.

00:32:02: [Florian Amort] Mein Magen, der ist zäh.

00:32:04: [Maria Gnann] Und wuchert da dieses Geschwür da drin in deinem Magen, bis dass der Pförtner Muskel

00:32:10: einen Krampf von diesem übersauren Milieu, weil du nur immer runter hast geschluckt, geschluckt

00:32:16: und immer wieder, wie mechanisch? Nur, wenn der Pförtner, der im Magen drin, wenn der mal

00:32:21: nicht mehr will, wenn der sich nicht mehr schließt, dann drückt es dir die ganze Scheiße

00:32:26: aus dem Darm, die du doch längst vergessen, drückt es dir in den Magen dann zurück, der

00:32:31: sich entzündet, Gastritis – unschön, sage ich dir.

00:32:34: [Florian Amort] Ich schreib's mir auf, dass ich es nicht vergess'.

00:32:37: [Maria Gnann] Macht euch ruhig lustig über mich. Bloß eine Welt ganz ohne Türen, glaubt mir, das wollt

00:32:43: ihr nicht. [Ende der Kostprobe]

00:32:44: Ja, ich hoffe sie verzeihen, dass wir keine Schauspieler:innen sind, aber wir wollten

00:32:50: sehr gerne eine kleine Kostprobe geben zu diesem Stück, "bumm tschak oder der letzte

00:32:55: henker" – ein Richtspiel von Ferdinand Schmalz, Koproduktion mit dem Burgtheater Wien, das

00:33:01: mit dem Stück in die neue Saison starten wird ab September.

00:33:05: Die Premiere- und Uraufführung findet aber in Bregenz statt, am 18.

00:33:10: Juli und an weiteren Terminen wird das Stück gespielt: am 20.,

00:33:14: 21. und 22. Juli, immer um 19.30 Uhr im Theater am Kornmarkt in Bregenz.

00:33:21: Es dauert unter zwei Stunden, ohne Pause, mein Name ist Maria Gnann, vielen Dank, Florian,

00:33:26: für das Gespräch und danke auch Ihnen fürs Zuhören.

00:33:45: [Musik]

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