Neue Perspektiven auf einen Klassiker: Der Freischütz 2024/25

Shownotes

Mit: Maria Gnann (Moderation) und Florian Amort (Chefdramaturg der Bregenzer Festspiele) Länge: 38 Minuten Erscheinungsdatum: 6. Mai 2025

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00:00:00: Hörspiele. Ein Podcast der Bregenzer Festspiele.

00:00:10: [Musik] [Maria Gnann] Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge Hörspiele. Mein Name ist Maria Gnann und ich sitze hier

00:00:24: im kleinen Tonstudio der Bregenzer Festspiele mit dem Chefdramaturgen Florian Amort für

00:00:29: eine Nachbesprechung der Freischützinszenierung von Philipp Stölzl. Hallo Florian.

00:00:35: [Florian Amort] Hallo Maria. Schön, dass du in Bregenz bist. [Maria Gnann] Schön, dass ich hier sein darf. Popcorn-Kino,

00:00:40: winterliches Wimmelbild, spektakuläre Neuinszenierung, Musical-nahe Gruselshow,

00:00:46: magische Seeaufführung. So heißt es zu der Freischützinszenierung, die Philipp Stölzl

00:00:54: 2024 in Bregenz präsentiert hat. Sie hat für Aufsehen gesorgt, diese Neudeutung,

00:01:01: der gern als deutsche Nationaloper bezeichneten, romantischen Oper in drei Aufzügen von Carl Maria

00:01:07: von Weber. Die Inszenierung wird auch im Jahr 2025 hier in Bregenz gezeigt und das gibt uns die

00:01:14: Gelegenheit einmal aus der Dramaturgen-Brille auf die Inszenierung und das Werk zu schauen,

00:01:18: die Reaktionen, Begeisterung, Kritik unter die Lupe zu nehmen und die Inszenierung ein wenig einzuordnen. 

00:01:26: [Musik] Florian in drei Sätzen: Worum geht es im Freischütz?

00:01:54: [Florian Amort] Zwei Leute wollen heiraten, doch um die Erlaubnis zu bekommen, muss Max, der Mann, einen Probeschuss

00:02:00: ablegen. Er ist aber kein guter Schütze und hat deswegen Angst vor diesem Probeschuss und holt

00:02:07: sich mit Hilfe von Caspar, einem Kriegsveteran, Hilfe in der Wolfsschlucht, gießt Freikugeln,

00:02:14: also Kugeln, die ihr Ziel immer treffen und geht damit einen Pakt mit dem Teufel ein. Was er nicht

00:02:20: weiß, sechs von den Kugeln treffen immer ihr Ziel, nur die siebte lenkt der Teufel und das weiß er

00:02:25: nicht und das hat große Konsequenzen in dieser Oper. [Maria Gnann] Für diejenigen, die die Oper noch nicht gesehen

00:02:30: haben, empfiehlt sich auch die Podcast-Folge mit dem Regisseur selbst. Florian Amort hat im vergangenen

00:02:36: Jahr vor der Premiere mit Philipp Stölzl gesprochen. Florian. Selten habe eine Premiere auf der

00:02:44: Bregenzer Seebühne vereinzelte Buh-Rufe erhalten, so haben zahlreiche Kritiker kommentiert. Andere

00:02:51: schrieben aber auch von großem Jubel, vor allem für den Schauspieler Moritz von Treuenfels, der

00:02:57: als mephistophelischer Samiel in einer großzügig erweiterten Sprechrolle durch das Stück führt und

00:03:04: die Handlung fest in seinem Griff hält. Welches Stimmungsbild hast du jetzt, also ein dreiviertel

00:03:10: Jahr nach der Premiere im Kopf, wenn du an diese Aufführung zurück denkst? [Florian Amort] Ich habe als Bild

00:03:16: tatsächlich die unterschiedlichen Reaktionen vor Augen, nämlich die Premiere war tatsächlich

00:03:21: etwas durchwachsen oder wenig Rufe oder Begeisterungsstürme. Es war so ein bisschen geteilt,

00:03:26: nicht wirklich viel geteilt, aber es gab doch paar Unmutsbekundungen und die folgenden Aufführungen

00:03:32: waren eigentlich alle mit Standing Ovations. Unser Publikum war sehr begeistert und das sieht

00:03:36: man auch an den Auslastungszahlen. Wir haben 100 Prozent Auslastung gehabt auch letztes Jahr für den

00:03:42: Freischütz, was auch zeigt, dass wir ein Publikum haben, was diese Produktion sehr gutiert hat.

00:03:48: [Maria Gnann] Und ist es wirklich so, dass es ansonsten bei den Premieren in Bregenz weniger verhaltene Reaktionen

00:03:55: bei der Premiere gegeben hat, als dann vielleicht auch vor allem viele Kritikerinnen und Kritiker

00:03:58: im Publikum gesessen haben? [Florian Amort] Also es war tatsächlich etwas Neues. Das habe ich auch noch nicht bei

00:04:03: anderen Produktionen erlebt, auch im Festspielhaus oder auf der Werkstattbühne. Es waren aber auch

00:04:09: nur vereinzelte Buh-Rufe. Ja, damit muss man auch leben. [Maria Gnann] Ja, oder manchmal sind vielleicht Buh-Rufe

00:04:16: als Reaktion auf eine neue Inszenierung in der Oper gar nicht unbedingt etwas Schlechtes. Wir werden

00:04:22: uns gleich einzelne Punkte genauer anschauen. Davor würde mich noch interessieren, welche Frage

00:04:28: vom Publikum oder welche Kritik ist bei dir am stärksten haften geblieben? [Florian Amort] Es gab eigentlich

00:04:33: gar nicht so viele Kritikpunkte vom Publikum. Es gab eher sehr viele interessierte Rückfragen. Wie

00:04:38: ist es zum Beispiel zu einer Sprechversion? Wie weit haben wir eingegriffen? Und darf man das? Und

00:04:44: warum haben wir es gemacht? Und auch diese Frage haben uns jetzt die Kritikerinnen und Kritiker

00:04:49: nicht so gestellt, sondern eher gleich schon gesagt, was sie dazu denken. Hingegen unser Publikum

00:04:53: eher wissen wollte, was die Beweggründe waren. [Maria Gnann] Also ihr habt relativ stark in den Text eingegriffen.

00:04:59: Dazu werden wir auch gleich sprechen. Ich würde davor gerne noch zu Musik fragen. 1821 wurde der

00:05:07: Freischütze uraufgeführt im Berliner Schauspielhaus. Ein sehr großer Erfolg damals für Carl Maria

00:05:12: von Weber und in Bregenz hat es 203 Jahre gedauert, bis das Werk auf die Seebühne kam. Stölzls

00:05:20: Inszenierung mache aus der Oper großes Kino, degradiere die Musik aber zur Nebensache. So

00:05:26: hat es eine Kritikerin geschrieben. Wie siehst du das Florian? [Florian Amort] Auch hier ist die Frage, wie man

00:05:33: Oper definiert. Also wenn man Oper als Gesamtkunstwerk, Oper heißt ja erstmal Werk, sieht, dann ist es

00:05:39: ja ein Zusammenspiel unterschiedlicher Gewerke oder unterschiedlicher Elemente. Man hat Musik als

00:05:45: einen und wahrscheinlich auch den Wichtigsten, aber man hat eben auch Sprache, Kostüm, Licht,

00:05:51: Inszenierung, alles Mögliche kommt dazu. Und insofern, wenn man glaube ich den Anspruch

00:05:56: halt wirklich ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, kann ich nicht sehen, dass es degradiert wurde,

00:06:01: weil es geht ja um ein Storytelling, es geht um die Musik und es geht um wirklich eine glaubhafte

00:06:08: Geschichte mit allen Facetten und Elementen, die eben zur Verfügung stehen, zu erzählen. Und ich

00:06:13: glaube, dass das Philipp Stölzl auch gelungen ist. Für Opernpuristen oder für Leute, die eher

00:06:19: sagen, ich brauche eigentlich gar keine Inszenierung, ich gehe nur, weil es Musik gibt und ich eben

00:06:24: vielleicht auch mit konzertanten Aufführungen glücklich bin, die werden vielleicht ein bisschen

00:06:29: Kritik haben, wie wir damit szenisch umgegangen sind. [Maria Gnann] Ich finde es interessant, dass du Philipp Stölzl

00:06:36: da herbei zitierst, weil er tatsächlich die Reaktion auf diese Oper bei einigen Kritikern und

00:06:42: Kritikerinnen vorhergesehen hat. Ich lese ein Zitat dazu, das ich gefunden habe. "Zur Bregenzer Version

00:06:51: sagt es Stölzl, ich bin mir ganz sicher, für diese Aufführung gibt es bestimmt Ärger. Klassische

00:06:56: Operngänger werden das als Schändung empfinden, dass man so ein Werk nimmt und einfach mal durch

00:07:01: die Waschmaschinen haut und neu zusammenbaut und versucht ohne viel Tabu neu zu denken und zu

00:07:06: erzählen. Das ist für Opernpuristen ein Albtraum. [Florian Amort] Genau, und er hat es vorher gesagt, wenn man so

00:07:13: möchte, ich wusste, ich kannte dieses Zitat gar nicht - spannend. Ja, und es ist genau das eingetreten.

00:07:18: Also das sieht man aber auch wieder, was sonst in der Kritik ab und zu mal zu lesen ist. Er wäre

00:07:22: zu sorglos umgegangen oder er hätte das Stück nicht ernst genommen oder so. Ich glaube, Philipp Stölzl

00:07:28: hat ganz genau gewusst, was er macht, wie er es macht und wir haben ja auch davor genug - oft

00:07:33: miteinander gesprochen im Team und so weiter. Also das ist eine Produktion, die nichts dem Zufall

00:07:38: überlassen hat. [Maria Gnann] Weißt du denn, wie er zu der Musik von Weber steht? [Florian Amort] Also er ist ja als Opernregisseur,

00:07:44: hat er gestartet mit dem Freischütz in Meiningen. Das war eine Produktion, die von allen Kritikerinnen

00:07:49: und Kritikern wirklich hoch gelobt wurde. [Maria Gnann] 2005 war das, glaube ich, der Einstieg für ihn. [Florian Amort] Der

00:07:55: Einstieg für ihn in die Opernwelt. Er kommt ja eigentlich aus dem Musikfilm. Er hat für Rammstein

00:07:59: einige Musikvideos und dann hatte Meinigen gesagt, okay, deutscher Wald, Rammstein, das passt

00:08:05: irgendwie, machen wir ein Experiment mit Philipp Stölzl. Ein Experiment, das gelungen ist. Und er

00:08:11: kennt dieses Stück einfach sehr gut. Er hat es jetzt zum zweiten Mal inszeniert. Also man kann

00:08:16: auch nicht sagen, er wüsste nicht, was das für -  um die Materialität dieser Oper oder die Textualität

00:08:21: vielmehr. Und er schätzt den Freischütz sehr. Es ist eigentlich eine große Verehrung zu diesem

00:08:27: Stück, wie er diese Inszenierung angelegt hat. Und trotzdem aber auch der Wunsch zu sagen, was

00:08:33: macht heute Oper aus? Was ist Gegenwartsbezug? Und es geht eben, glaube ich, auch nicht um so

00:08:38: eine flache Aktualisierung. Das sehe ich noch nicht so. Er hat einfach ein großes

00:08:44: wie eine Art Mysterien-Spiel gezaubert. Es geht halt letztlich um die Frage auch, braucht es das Böse

00:08:50: in der Welt? Kann es nur das Gute geben? Ist es irgendwie ein Spiel der Kräfte? Und in diesem

00:08:58: Setting hat er halt seine Freischützinszenierung auch angelegt. [Maria Gnann] Welche Musiknummer ist bei dir

00:09:03: besonders haften geblieben? [Florian Amort] Ja, es gibt eine, die wahrscheinlich auch, wenn man schon bei den

00:09:09: Opernpuristen waren, besonders negativ hervorgetreten ist. Das ist die Ännchen-Arie, die Erste. Bei uns

00:09:16: heißt das "Ännchen in Love". Eigentlich heißt die Arie "Kommt ein schlanker Bursch gegangen". In unserer

00:09:21: Version aber "Kommt eine schlanke Meid gegangen". Da sieht man dann auch schon, welche Richtung bei uns

00:09:26: dieses Ännchen geht. Und das ist eine kekke, freche Arie des Ännchens, also einer Subretten-Partie. Und die

00:09:35: haben wir halt als Traumsequenz etwas musikalisch auch arrangiert. Also wir haben die Originalmusik

00:09:40: von Carl Maria von Weber, haben aber auch einen Background-Vocal-Chor. Wir haben eine Celesta

00:09:45: und wir haben so Broadway-surrende Geigen, die zu einem Esther Williams Ballett eben gespielt wird

00:09:53: und Ännchen halt wirklich eine Traumsequenz in love ist.

00:09:56: [Musik, Gesang] Kommt ne schlanke Maid gegangen, blond von Locken oder braun. Hell von Aug' und rot von Wangen. 

00:10:12: Ei, nach der kann man wohl schau'n, ei, nach der kann man wohl schau'n, ei, nach der, nach der kann man wohl schau'n. [Florian Amort] Ich kann verstehen, dass man irgendwie auch ein komisches Gefühl hat, wenn man so was auf einmal hört.

00:10:36: Aber ich finde es wahnsinnig toll gemacht und das finde ich eigentlich schon auch sehr schön in so einem Broadway-Moment.

00:10:43: Und da gibt es auch immer, obwohl es ja wirklich nicht die zentralste Arie in dieser Oper ist, immer am größten Applaus auch.

00:10:49: [Maria Gnann] Und dadurch, dass die Musik verändert wird, wird sie vielleicht auch nicht zwingend zur Nebensache.

00:10:56: Die Frage, die ich noch stellen wollte, ist, wie viel Musiknummern wurden tatsächlich gestrichen.

00:11:01: Also ich habe ein bisschen mit dem Original die Operette verglichen und meine, es sei eigentlich nur eine Musiknummer weggefallen.

00:11:10: [Florian Amort] Genau, es sind insgesamt zwei, einmal en tract, am Beginn des dritten Akts, also ein instrumentale,

00:11:16: Nummer, die halt nach der Pause damals gegeben wurde, die fällt weg und tatsächlich gleich danach die zweite Arie der Ännchen.

00:11:24: "Eins träumte meiner sel'gen Base"

00:11:26: Da müsste man aber vielleicht auch wissen, dass das gar nicht so falsch ist, was wir gemacht haben.

00:11:31: Denn diese Arie kommt im Original-Libretto gar nicht vor.

00:11:34: Diese Arie hat Carl Maria von Weber nachkomponiert wegen einer Besetzungsänderung.

00:11:39: Und die Sängerin der Ännchen gesagt hat, sie möchte gerne zweite Arie haben.

00:11:44: Aber wenn man mal so sagt, wenn es diesen äußeren Umstand der Besetzungsänderung nicht gegeben hätte,

00:11:50: hätte es diese Arie auch nicht gegeben.

00:11:52: Und wir müssen kürzen, um auf diese Spielzeit zu kommen.

00:11:55: Und... [Maria Gnann] Kurzer Einschub von mir: Auf zwei Stunden, weil keine Pause bei der Seebühne der Bregenzer Festspiele.

00:12:01: [Florian Amort] Genau, wir haben keine Pause und es soll eben zwei Stunden, hat sich als Richtwert ganz gut gehalten,

00:12:06: vielleicht ein bisschen mehr mal.

00:12:07: Aber genau, diese Arie fanden wir dann einfach, hat jetzt dramaturgisch nicht so viel für das Storytelling hergegeben.

00:12:13: Und es ist auch ein dezidierter Zusatz schon, 1821 gewesen,

00:12:17: wo wir uns eine gewisse historische Legitimation geholt haben, sie zu streichen.

00:12:22: [Maria Gnann] Und wenn wir jetzt nochmal auch wieder nur auf die Musik gucken, was wurde da ansonsten verändert?

00:12:28: Einige Textstellen, wie zum Beispiel die angesprochene von dir: "Es kommt eine schlanke Meid gegangen".

00:12:33: [Florian Amort] Genau, es gibt so punktuell zum Beispiel: "Grillen sind mir böse Gäste", singt auch Ännchen.

00:12:37: Und das heißt bei uns "Männer sind mir böse Gäste".

00:12:40: Also Grillen sind eigentlich Spinnereien und da sind es halt Männer.

00:12:44: Es gibt, was auch eine Kritik war, dass zum Beispiel Samiel, der ja eine dezidierte Sprechpartie ist,

00:12:50: auch mal in der großen Agaten-Arie, auch mal so das ein oder andere Mal das Wort ergreift und auch singt und sie unterbricht.

00:12:57: [Maria Gnann] Stimmt, das wurde auch durchaus kritisch gesehen, dass man da im Grunde den Singfluss von Agate unterbricht,

00:13:03: indem man Samiel manche Zeilen übernehmen lässt.

00:13:07: [Florian Amort] Genau, vielleicht müsste man jetzt noch kurz so generell was zur Inszenierung sagen.

00:13:11: Bei uns in Bregenz ist der Samiel, der eigentlich eine ganz kleine Sprechpartie im Original ist,

00:13:16: der Spielmacher, der Conférencier, der sozusagen präsentiert, liebe Leute,

00:13:21: ein bisschen so wie Hofmannsthal "Jedermann", so wir zeigen euch heute das Spiel des reichen Mannes oder das Sterben vom reichen Mann.

00:13:27: So ähnlich ist es eben auch hier in Bregenz, also er zeigt uns ein Lehrstück, ein Moritat, wie auch Philipp Stölzl sagt,

00:13:34: also eine Geschichte und erklärt, warum das jetzt so stattfindet, was die Motivation ist.

00:13:40: Er ist so ein bisschen so der Allwissende Erzähler, der durch diese Oper führt

00:13:44: und damit natürlich auch irgendwie eingreifen muss.

00:13:46: Also es ist für mich dramaturgisch gesehen ganz klar, dass er nicht einfach passiv still sein muss

00:13:51: und schaut, was passiert, sondern wirklich auch eingreift und damit halt auch singen muss.

00:13:55: [Maria Gnann] Wobei man ja sagen muss, das fand ich zum Beispiel sehr interessant, das stimmt bei dem Original von Carl Maria von Weber,

00:14:03: spricht Samiel nur an einer Stelle, nämlich wenn er in seinem Element ist, also in der Wolfsschlucht

00:14:10: und ansonsten bleibt es, ist er im Grunde zu schlecht, um eine Gesangspartie zu übernehmen oder zu teuflisch.

00:14:17: Er erscheint aber auch dort im Libretto immer mal wieder als stummer Gast auf der Bühne,

00:14:22: also es ist jetzt nicht so, dass er nur an einer Stelle auftaucht, er ist schon durchaus präsent.

00:14:28: Daher habe ich das eigentlich als einen pfiffigen Einfall empfunden, ihm da jetzt mehr Raum zu geben

00:14:36: und natürlich auch die Dramaturgie ein Stück weit klarer zu machen und auszusprechen, was Philipp Stölzl in seiner Inszenierung macht.

00:14:45: [Florian Amort] Es gibt eben diese alte Theatervorschrift, wenn man so möchte, ist zu viel, aber es gibt diese noch spätscholastische Vorstellung,

00:14:51: „Diabolus non cantat“, also "der Teufel singt nicht".

00:14:56: Und das wird aber schon in Bregenz gleich karikiert.

00:15:00: Wir beginnen mit einem Prolog, der ist neu hinzugekommen,

00:15:04: beginnt auch tatsächlich Samiel gleich zu singen, also den ersten Ton, den wir hören, ist Samiel, der singt.

00:15:10: Und er singt, "Lasst uns die Blicke erheben und fest auf die Lenkung des Ewigen baun! Der Milde des Vaters vertrau'n!

00:15:17: [Musik] "Lasst uns die Blicke erheben und fest auf die Lenkung des Ewigen baun! 

00:15:32: Der Milde des Vaters vertrau'n!"

00:15:36: [Florian Amort] Man könnte jetzt sagen: "Mein Gott, was ist das für ein Text?" und so was, aber das Spannende ist und das hat kein einziger Kritiker,

00:15:42: kein einziger Kritkerin jemals gesagt, das ist der originale Text des Schlusschors.

00:15:46: Also das heißt, Philipp Stölzl hat einfach das Ende genommen und schon gleich am Anfang uns präsentiert.

00:15:52: Und wenn man das Stück sehr gut kennt oder öfters schon gesehen hat oder gehört hat, dann weiß man das

00:15:59: für das Publikum, die vielleicht zum ersten Mal Freischütz sehen oder so was ist es vielleicht überraschend.

00:16:04: Aber ich hatte es schon verwundert, dass die Kritikerinnen und Kritiker, das niemandem des aufgefallen ist,

00:16:09: weil es so klar ist und auch gleich weiß, wohin das Ganze geht.

00:16:13: Also wenn man, man könnte fast schon so fast analytisches Theater sagen, mit dem ersten Satz weiß man, wohin es geht eigentlich,

00:16:19: weil damit schon Philipp Stölzl die Leitplanken reingerammt hat, wie das Finale aussehen könnte.

00:16:25: [Maria Gnann] Und das Spannende ist ja, dass für diejenigen, die das nicht wissen, das Publikum, er ja etwas Ähnliches macht,

00:16:30: nämlich er zeigt visuell bereits ein Ende, ein mögliches Ende, was ja dazu sehr gut passt.

00:16:37: [Florian Amort] Genau, also vielleicht für die, kein Spoiler, aber für unsere Zuschauerinnen und Zuschauer, die erst kommen werden zu den Bregenzer Festspielen:

00:16:45: Der Beginn geht also schlecht aus, also wir sehen, der Probeschuss ist gescheitert, der Teufel hat gewonnen,

00:16:51: die verfluchte Freikugel hat Agate getroffen und Agate wird zur Grabe getragen und der Teufel sagt dann, naja, wie ist überhaupt das passiert?

00:17:00: Also "What happened before?" und dann starten wir eigentlich an mit der richtigen Oper, wie wir sie aus dem Original kennen,

00:17:07: also es gibt so ein Art Flashback-Moment und dann führen wir eigentlich oder führt Philipp Stölzl es genau an diesen Punkt, wo wir dann waren

00:17:15: und dann kommt eben das Finale, was anders ausgehen wird.

00:17:18: [Maria Gnann] Lass uns von der Musik hin zum Text gehen. Wie hat Philipp Stölzl den Text modernisiert?

00:17:28: [Florian Amort] Er hatte zuerst mal einen Kollegen als "Helfende Hand", Jan Dworschak, ein Autor und es war das Bedürfnis auch Figuren zu zeigen,

00:17:39: die irgendwie mit der heutigen Situation irgendwas zu tun haben, also nicht historisch vergangen, irgendwie 30-jähriger Krieg, Erbförsterei,

00:17:47: alles irgendwie sehr wenig Gegenwart und was halt das Problem ist bei vielen Texten aus dem 19. Jahrhundert oder auch davor ist,

00:17:56: dass es, vor allem im 19. Jahrhundert muss man aber sagen, dass Frauenfiguren immer wahnsinnig passiv sind.

00:18:01: Also in dem Fall des Freischütz, der Max ist derjenige, der irgendwie zu Abenteuern geht oder Kaspar, der auch eher so der Dominante ist

00:18:10: und die Frauen, die sitzen nur, also Ännchen und Agate, sitzen nur zuhause und bangen und warten und beten und bangen

00:18:17: und das ist wenig Identifikationsmöglichkeit für ein heutiges, für ein auch freiwilliges Publikum, aber ich identifiziere mich damit auch nicht,

00:18:25: also ich finde das auch langweilig und da war eben die Überlegung, wie kann man da einen Mittelweg finden

00:18:32: und es gibt ja durchaus auch unterschiedliche Charaktere schon angelegt, also Agate, die eher diese wartende, sentimentale, betende,

00:18:40: vielleicht katholische ist und Ännchen die rationale, kekke

00:18:44: ein bisschen freche, ein bisschen mehr so Aufklärung und die zwei, obwohl sie Freundinnen sind, ja auch unterschiedliche Ansichten haben.

00:18:51: Und in dieser Anlage, die so ein bisschen angedeutet ist, hat Jan Dworschak und Philipp Stölzl eine Möglichkeit gefunden,

00:19:00: diese Charaktere zu erweitern und auch zu motivieren.

00:19:04: Wenn man sich diese Produktion anschaut, jede Figur ist irgendwie psychologisch motiviert.

00:19:10: Das ist im Original gar nicht so. Es gibt eigentlich wenig Motivation, warum Agate so ist, außer dass sie bangt und zu Hause betet.

00:19:18: Und hier gibt es aber irgendwie dann doch eine Möglichkeit einer Erklärung.

00:19:22: Nicht, dass es immer so rational dargestellt wird, aber man kriegt irgendwie so ein Gefühl, was ist das für eine Frau,

00:19:29: warum handelt die so, was sind ihre Ängste, ihre Zwänge.

00:19:34: Das macht das ein bisschen spannender als diese originale Handlungsentwurf, sag ich mal.

00:19:39: [Maria Gnann] Du meinst, ihre Motivation, Max zu heiraten, ist also die Schwangerschaft,

00:19:42: weil sie könnte ja auch einfach nur reine Liebe sein, wie jetzt im Original auch.

00:19:47: [Florian Amort] Genau, diese Schwangerschaft ist etwas, was hinzugefügt wurde, um eben das zu modernisieren und auch zu sagen,

00:19:53: okay, man hat, wir wissen auch gar nicht, ob Max der Vater überhaupt ist von diesem Kind.

00:19:57: Also wir wissen nur sie ist schwanger und sie sieht halt durch diese Heirat ihre Ehre auch gerettet in dem Sinne,

00:20:04: so eine Art Josefs-Kind und in einer, sagen wir mal, sehr konservativ restriktiven Gesellschaft,

00:20:11: die sie auch heutzutage noch gibt, ist, glaube ich, ungewollte Schwangerschaft

00:20:15: oder mit jemanden, mit dem man nicht zusammen ist oder so, durchaus ja immer noch ein Thema.

00:20:19: Und dass man dann irgendwie versucht, okay, ich habe diese Verstoßung vor der Familie

00:20:25: oder irgendwie Verstoßung von der Gesellschaft und dann dieser Möglichkeit,

00:20:29: okay, hier gibt es jemanden, der mich eigentlich heiraten mag, dass ich einen Ausweg finde und mich damit arrangiere

00:20:34: und damit wird sie auch menschlicher in ihrer Entscheidung.

00:20:37: Aber nicht für Ännchen, die eben bei uns lesbisch gelesen ist, die halt sagt,

00:20:42: so du musst mutig sein und lass uns verschwinden und du musst dich nicht assimilieren mit dieser konservativen Gesellschaft,

00:20:48: sondern du musst die Mut haben, auszubrechen.

00:20:51: Und mit mir, sie ist da dann auch ein bisschen sehr dominierend vielleicht die Agate,

00:20:56: Entschuldigung, das Ännchen, dass man eben gemeinsam flieht und einem anderen Lebensentwurf hat

00:21:02: und das Spannende ist, dass eben Ännchen am Ende tatsächlich abhaut, sie rennt in den Publikumsraum

00:21:09: auf die Seebühne und ist weg, während Agate mit Max dann doch irgendwie die Ehe feiert.

00:21:15: [Musik] [Ännchen] Wie lange? [Agate] 10 Wochen. [Ännchen] Bist du sicher? [Agate] Ich muss mich schon jeden Morgen übergeben.

00:21:22: [Ännchen] Aber das kann doch gar nicht sein. [Agate] Wenn Max nicht trifft, dann wird alles rauskommen.

00:21:28: Dann werde ich aus dem Dorf gejagt wie eine Hure.

00:21:32: [Ännchen] Jetzt verstehe ich, warum du so sehr auf den lieben Gott und seinen heiligen Willen hoffst.

00:21:37: Vielleicht macht er ja auch das Kilian zu blöd, es die Monate zu zählen.

00:21:42: [Agate] Meinst du? [Ännchen] Nein, Agate, du musst sofort von hier verschwinden, das ist die einzige Möglichkeit.

00:21:47: [Agate] Du bist vollkommen verrückt, wo soll ich denn hin? Außerdem ist es dafür jetzt zu spät, der Probeschuss beginnt gleich.

00:21:56: Max muss einfach treffen und er wird treffen.

00:22:01: [Ännchen] Wird er nicht! [Agate] Doch! [Ännchen] Nein! [Agate] Der Fürst ist doch kein Unmensch, das Ziel wird leicht sein.

00:22:07: [Ännchen] Er ist ein Unmensch Agate.

00:22:09: [Florian Amort] Also Ännchen ist eigentlich die wirklich Mutige in dieser Inszenierung,

00:22:13: die eben auch nicht bei dem Spiel vom Samiel, vom Strippenzieher mitmacht, sondern einen eigenen Plan entwickelt.

00:22:20: [Maria Gnann] Das Ende wagt Samiel trotz anfänglichem Vorführen als letztlich ein Experiment, nämlich ein kitschig, fettes Happy End, so sagt er das.

00:22:30: Womit ja Samiel oder Stölzl das Original als unglaubwürdig entlarvt, also das originale Happy End.

00:22:39: Und so könnte man ja die Inszenierung insgesamt durchaus als Ironie auf diese Oper verstehen, oder wie siehst du das?

00:22:46: [Florian Amort] Das ist eine Option, ja. Man könnte aber auch noch sagen, wie kritisch auch Stölzl mit Religion umgeht.

00:22:52: Man könnte, die bitterböse Pointe wäre, dass selbst das Göttliche oder der göttliche Glaube eigentlich nur eine Erfindung des Teufels ist,

00:22:58: um die Leute zu beruhigen, die haben ihre Projektion, ihren Glauben, wenn der Eremit am Ende den Mantel wegzieht und dann doch der Teufel ist.

00:23:08: Also es gibt da eigentlich eine ziemlich böse Pointe in der ganzen Inszenierung.

00:23:13: Ich hoffe, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer werden mir jetzt verzeihen, dass ich es gespoilert habe.

00:23:18: Ich kann auch sagen, es war auch mal die Option gewesen, einfach das Finale ganz zu streichen.

00:23:23: Nur, wir haben halt diese Musik, wir haben dieses tolle Finale und wir sind ein Opernfestival.

00:23:29: Wir wollen nicht die Musik, also es wäre zu radikal gewesen und das wollten wir auch nicht.

00:23:35: Dann war eben die Frage, wie kann man trotzdem mit diesem dramaturgisch ja sehr schwierigen Schluss?

00:23:38: Ich meine, da kommt so ein Geistlicher, der sagt, ja jetzt bin ich bei mir vom Gott gesandt.

00:23:44: Ich sage euch jetzt, na ja, so schlimm ist es nicht und er glaubt ja eigentlich an Gott und jetzt geben wir ihm mal ein Probejahr und dann wird es schon werden und dann dürfen sie heiraten.

00:23:51: Das ist ja nicht logisch.

00:23:53: Das ist ja auch ein erzwungener eben Deus ex machina, eine irgendwie von Außen kommende Gestalt sagt, wie man jetzt das machen muss.

00:24:02: Und der Ottokar, der Herzog, der Fürst sagt dann auch noch, ja dann folge ich dem natürlich, weil ich bin ja gut katholisch oder gut christlich.

00:24:10: Das ist ja keine heutige, vergegenwärtigte logische Konsequenz.

00:24:15: Das ist ein dramaturgischer Trick, um eine Handlung herbeizuführen, ohne einen Toten zu haben am Ende.

00:24:23: Aber so richtig überzeugend ist es vielleicht für heutige Zuschauer, Zuschauerinnen auch nicht.

00:24:29: Da find ich ja den Schritt, dass Samiel als Spieltreiber sagt, na ja, dann probieren wir jetzt mal ein Experiment und ich weiß, wie ich die Leute hindrehe,

00:24:36: ja, fast schon irgendwie zeitgemäßer.

00:24:40: [Maria Gnann] Du hast die Kritik angesprochen, aber sehr viel Lob, im Grunde ausschließlich,

00:24:45: Lob hat das Bühnenbild bekommen.

00:24:48: Das winterliche Wimmelbild, wie es oft beschrieben wurde, wobei das vielleicht eher positiv klingt,

00:24:54: ist ja durchaus eine sehr düstere, windschiefe Dorflandschaft mit Eis und Schnee überzogen.

00:25:01: Für die Bregenzer Festspiele ja auch ein ungewöhnliches Bühnenbild, oder?

00:25:06: [Florian Amort] Genau, wir hatten in der ersten Podcast-Folge dieser Staffel schon darüber gesprochen.

00:25:11: Es war ein Umbau von Nöten, der dazu geführt hat, dass die Bühne viel näher ans Publikum ranrückt.

00:25:18: Es ist nicht mehr diese Distanz, diese 10 Meter, 12 Meter Wassergraben, wenn man so möchte, sondern wirklich bis um die erste Zuschauerreihe

00:25:26: kommen dann die Sängerin und Sänger, was natürlich diesem Schauspiel, diesem Sing-Schauspiel-Charakter auch nochmal zugute kommt,

00:25:34: dass es eben kammerspielartig wird.

00:25:37: Und diese Landschaft, die eben sonst, es gibt oftmals eher so Bühnenskulpturen.

00:25:42: Bei Butterfly war es ein zerknülltes Papier ins Wasser geworfen, bei Carmen waren es die Hände mit Spielkarten,

00:25:49: bei Rigoletto dieser Clownskopf. Also es gibt immer so skulpturale Bühnenbildmomente.

00:25:55: Und hier ist es eigentlich eine Landschaft. Also was völlig anderes, was es seit Savary 1985 eigentlich nicht gab.

00:26:03: Und angelehnt oder eine Idee vom Filmkomment waren auch Tim Burton Filme, dieser magische Realismus.

00:26:09: Und Philipp Stölzl ist auch Bühnenbildner, er hat auch dieses Bühnenbild selbst gemacht.

00:26:14: Und auch hier sieht man mit welcher Liebe zum Detail er schon sich das alles erdacht hat, also auch dieses Bühnenbild.

00:26:20: Da gibt es keine Zufälle, es ist alles genau geplant wo was sein muss.

00:26:25: Und das ja auch nochmal über eine große Kenntnis-Reichtum eigentlich von Philipp Stölzl zu diesem Stück sagt.

00:26:32: [Maria Gnann] Bei Carl Maria von Weber's Freischütz spielt der Wald eine große Rolle, beziehungsweise in Deutschland bezieht man sich auch sehr gerne darauf,

00:26:43: auf den Wald in diesem Stück die Jäger-Chöre, das Unheimliche, was dort herrscht.

00:26:48: Jetzt würde ich sagen ist das dominante Element in dieser Inszenierung eher das Wasser, wobei durchaus auch viele Bäume in diesem Dorf integriert sind,

00:26:57: sie sind aber sehr kahl. Hast du den Wald vermisst?

00:27:02: [Florian Amort] Also ich weiß, dass aller allererste Bühnenbild, Modell oder Idee war tatsächlich ein Wald zu haben.

00:27:09: Davon ist man aber dann sehr schnell weggekommen und hat eben dann eben diese Dorfstruktur,

00:27:14: man ist nicht auf das Offensichtliche gegangen, sondern eher auf dieses Sozial, was bedeutet Dorf eigentlich.

00:27:20: Und ich komme aus einem, wir hatten schon Berchtesgaden, 5000 Einwohner oder so.

00:27:25: Das ist halt nochmal etwas anders als wenn man in der Großstadt groß wird.

00:27:28: Das ist eine andere soziale Struktur und auch dieses mit Druck und Kontrolle und so.

00:27:33: Ich habe den Wald also nicht vermisst und ich meine wir sind auch, in Bregenz, es wäre auch schade, wenn man nicht mit dem Wasser spielen würde,

00:27:41: mit dem Element Wasser und mit diesem, mit dieser Konträr-Faszination auch eben Sonnenuntergang, Wasser, verschneit, versunken.

00:27:49: Man spielt ja auch ein bisschen mit den unterschiedlichen Elementen und das macht, glaube ich, auch die Bühne so stark durch diese Kontraste einfach.

00:27:57: [Maria Gnann] Und es gibt auch unglaublich viele Spezialeffekte.

00:27:59: Es wird auch sehr viel mit Licht, mit Geräuschen, mit Feuer,

00:28:03: es gibt eine feuerspeiende Schlange, die sich aus dem Tümpel, einem der Tümpel erhebt.

00:28:08: Damit wird sehr viel gemacht und das war ja auch ein Ziel von Philipp Stölzl, diese Szenerie wirklich überwältigend zu gestalten, auch cineastisch im Grunde.

00:28:21: Ist es herausfordernder gewesen, jetzt auch aus Sicht der Technik, als vorangegangene Produktion?

00:28:29: [Florian Amort] Also durch den Umbau mit dem Betonkern und dass die Bühne nach vorne gehen mit diesem Wasserbecken, das waren schon alles sehr aufwendige Prozesse.

00:28:37: Aber in Bregenz, wir bauen immer nur Prototypen. Also jedes Bühnenbild gibt es nirgends woanders.

00:28:43: Es gibt nicht nochmal Freischützdorf irgendwo.

00:28:47: Es gibt hier bei den Bregenzer Festspielen ein großartiges Team mit viel Leidenschaft und viel Herzblut, die prinzipiell erstmal versuchen, alles möglich zu machen.

00:28:58: Aber es ist für alle herausfordernd.

00:29:02: [Maria Gnann] Man liest, ich habe es anfangs ja schon gesagt, sehr oft die bezeichneten Popcorn-Kino für diese Inszenierung.

00:29:10: Ist das ein Kompliment oder eine Kritik für dich?

00:29:14: [Florian Amort] Ja, ich bin kein Kino-Gänger und ich mag auch kein Popcorn, deswegen weiß ich nicht so recht, was der Begriff so bedeuten soll.

00:29:20: Ich könnte mir vorstellen, es geht um gute Unterhaltung.

00:29:23: [Maria Gnann] Und vielleicht so eine Blockbuster-Atmosphäre, dass du dich ausstreckst in einem Kinosessel, eine große Tüte Popcorn isst und dazu halt einen bildgewaltigen Film konsumierst.

00:29:35: [Florian Amort] Also wir spielen ja unsere Seeproduktion immer, also zwei Jahre.

00:29:38: Das heißt am Ende werden 400.000 Menschen diese Freischützproduktion hoffentlich gesehen haben.

00:29:44: Und 400.000 Leute zu begeistern oder viele davon zu begeistern, ist ja schon mal echt beeindruckend.

00:29:51: Also das ist weit mehr als ein Repertoirehaus-Publikum hat, geschweige denn eine Produktion Besucher erreicht.

00:29:58: Also ich glaube, dass der Anspruch schon auch als Festspiele, wie ich auch in der letzten Podcastfolge gesagt habe, ist, wirklich Kunst und Oper und Musik für alle zu machen.

00:30:08: [Maria Gnann] Die Erwartungshaltung ist ja auch total unterschiedlich mit der Leute in die Oper kommen.

00:30:13: Vielleicht unterscheidet die sich auch von der Erwartungshaltung eines Kritikers, einer Kritikerin.

00:30:19: Welchen Anspruch hast du an den Freischütz?

00:30:23: [Florian Amort] Das ist eine sehr persönliche Frage, weil es auch darum geht, was ich von Kunst möchte.

00:30:30: Ich gebe es zu, ich hänge sehr an schönen Bildern, an Bühnenzauber, an, ich möchte eigentlich schon, dass Oper die Menschen verzaubert.

00:30:39: Ich habe so eine eskapistische Vorstellung von Oper und Kunst generell.

00:30:44: Ich glaube, die Welt ist sehr komplex geworden, sehr schwierig geworden und ich möchte nicht ein Feuilleton-Theater haben, wo das, was ich in der Tagesschau sehe, auch noch auf der Operbühne sehen muss,

00:30:55: weil mir die Tagesschau oder ein Artikel geeigneter scheint.

00:31:00: Was es nicht heißt, dass es nicht tolle politische Produktionen gibt, ich auch schätze.

00:31:04: Ich denke halt nur, das ist nicht was in Bregenz, man machen könnte, sondern wir machen halt eher sinnliche, zauberhafte, magische, wo unser Publikum mal vergessen kann, was um einen so rum ist.

00:31:19: Und damit auch den Wert von Musik und den Wert von Kunst nochmal anders definiert.

00:31:25: Und das kommt mit mir mit dieser Festspielidee zusammen.

00:31:28: Und ich glaube schon, dass unser Freischütz gute Unterhaltung ist, aber nicht unter irgendeinem Niveau, sondern wirklich auf der Höhe.

00:31:36: Es ist auch auf der Höhe der Kunst, weil die Bearbeitungen, wie wir mit diesem Material umgegangen sind, total modern ist.

00:31:43: Ich glaube nicht, dass es einen Freischütz gibt, der so radikal mit dem Text umgeht.

00:31:48: Und dann finde ich wiederum, das ist eigentlich eine ganz spannende Sache.

00:31:51: Man hat also total moderne Techniken.

00:31:54: Man hat trotzdem einen hohen Unterhaltungswert und man hat begeisterte Gesichter.

00:31:59: Man hat ein begeistertes Publikum.

00:32:01: Und was möchte man mehr?

00:32:03: [Maria Gnann] Ja, Philipp Stölzl hat ja auch gesagt, er will lustvoll die Gruselgeschichte erzählen, die da verhandelt wird.

00:32:12: So sieht er das und mit diesem Grusel spielt er ja auch -

00:32:14: so habe ich das zumindest empfunden.

00:32:17: Also ich habe jetzt diese Untoten, die da aus dem See auftauchen, diese Skelette, die dann so grün beleuchtet werden.

00:32:27: Das hat jetzt bei mir nicht zu einem Gänsehautschauer der ehrlichen Angst geführt, sondern eben eher zu dem Genuss an dem Grusel.

00:32:37: Oder hast du dich ehrlich gegruselt?

00:32:39: [Florian Amort] Nein, ich habe mich nicht geguselt.

00:32:42: Ich weiß auch nicht, ob Philipp Stölzl das alles nicht ernst meinte, das weiß ich nicht.

00:32:47: Aber er hat auf alle Fälle, dass wie er es erzählt, total ernst genommen.

00:32:52: Also die Machart ist total ernst.

00:32:54: Da ist nicht irgendwie was, wie gesagt, im Zufall überlassen, sondern wirklich versucht, eine ganz starke Storytelling zu betreiben.

00:33:03: Und natürlich: es gibt es schon so eine gewisse, ich meine Tim Burton Film, er ist selber Filmregisseur, es gibt auch noch so eine Ästhetik des Expressionismus.

00:33:13: Also es gibt viele Assoziationsebenen, die ich glaube ich damit reinspielen.

00:33:18: [Maria Gnann] Was ich vielleicht noch hinzufügen möchte, ist, ich habe sehr viel darüber gesprochen, wie ich diese ironisierende Art wahrgenommen habe.

00:33:26: Oder dieses fast schon parodistische, zu dieser Oper, zu dem Inhalt.

00:33:33: Was ich aber fand, was er sehr ernst genommen hat, war die musikalischen Errungenschaften Webers.

00:33:39: Also dieser Einsatz von szenischer Musik war ja anscheinend wirklich bahnbrechend in der Operngeschichte.

00:33:47: Also diese Untermalung des Bühnengeschehens, vor allem bei diesem spektakulären Gewittersturm im zweiten Finale.

00:33:54: Beim Giesen der Kugeln.

00:33:57: [Musik] [Kaspar] Das Wilde Heer! Sechs! Hilfe! [Samiel] Sechs, in Teufels Namen! 

00:34:07: SECHS!

00:34:10: [Musik]

00:34:12: Das gilt ja wirklich als eine der ersten Szenen der Operngeschichte, die kinoähnliche Spezialeffekte vorweggenommen hat.

00:34:38: Und das finde ich eigentlich sehr spannend im Hinblick auf Philipp Stölzl.

00:34:41: Da passt er ja dann wirklich sehr gut zu diesem Stück, weil er das ja auch an anderer Stelle nochmal mehr betont und natürlich auch heutige Spezialeffekte darunter mischt.

00:34:50: [Florian Amort] Ja, und ich finde, man merkt auch total, Weber als einer der diese Traditionslinie zu Wagner letztlich schlägt.

00:34:58: Und wenn man auch weiß, Hollywood-Leute, da kommen jetzt die Korngold und so weiter, die auch in dieser Wagner Tradition sich sehen,

00:35:06: die sind jüdische Komponistinnen und Komponisten, die danach Hollywood ausgewandert sind und dort letztlich Filmmusik gemacht haben.

00:35:13: Es gibt diese Tradition der symphonischen Filmmusik, die jetzt mit Howard Shore, "Lord of the Rings" oder John Williams, die ganzen Soundtracks,

00:35:22: die schon irgendwie ihre Essenz oder wenn man so möchte, eine Linie bis zur Wolfschlucht vom Freischütz ziehen kann.

00:35:31: Und damit hat man natürlich eine Traditionslinie eröffnet, wo man auch wirklich merkt, okay, also Kinofilmusik funktioniert genauso wie diese Wolfschlucht funktioniert, nämlich wirklich mit allem Mitteln,

00:35:43: untermalen, versuchen spannend einen Moment einzufangen, wo man einfach dann nur geflashed ist.

00:35:50: [Maria Gnann] Und die Musik funktioniert auch bis heute. Also bei der Wolfschlucht-Szene, wenn es eben zu diesen dramatischen Effekten kommt, aber auch wie Weber damit der Musik umgeht,

00:36:00: fand ich auch sehr stark spürbar.

00:36:03: [Florian Amort] Ja, es kommt halt so viel zusammen und dieser Gedanke, dass man sagt, das ist ein Gesamtkunstwerk, wo eben man sagt, man bringt Musik und Szene und Gesang und Ausstattung

00:36:17: und Bühnenbild und Licht und alles zusammen, um wirklich so einem, also man hat dann wirklich die Teile, sind zusammen, sind mehr als die Teile selbst.

00:36:27: Und das merkt man in so einer Produktion mit so einer Leidenschaft, wie Philipp Stölzl inszeniert hat und das erdacht hat, schon sehr, muss ich sagen.

00:36:36: [Maria Gnann] Vielen Dank Florian. Der Freischütz, romantische Oper in drei Aufzügen von Carl Maria von Weber in der Inszenierung von Philipp Stölzl ist in Bregenz auf der Seebühne zu erleben.

00:36:46: Beinahe täglich vom 17. Juli bis zum 17. August 2025, immer um 21.15 Uhr beziehungsweise 21 Uhr.

00:36:56: Tickets und weitere Informationen gibt es im Internet unter bregenzerfestspiele.com. Vielen Dank fürs Zuhören.

00:37:02: [Florian Amort] Vielen Dank.

00:37:05: Hörspiele. Ein Podcast der Bregenzer Festspiele.

00:37:15: [Musik]

00:37:26: [MUSIK]

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