Unmögliche Verbindung

Shownotes

In dieser Folge von Hör-Spiele widmet sich Florian Amort, Dramaturg der Bregenzer Festspiele, dem Musiktheater Unmögliche Verbindung von Komponist Ondřej Adámek sowie Autor und Regisseur Thomas Fiedler, das im Sommer bei den Bregenzer Festspielen seine Uraufführung feiern wird. Ob der Tod eines geliebten Menschen, Kommunikationsverbote in Gefängnissen oder polarisierende Stimmungen, Erwartungen und Vorwürfe im politischen Diskurs: In Situationen emotionaler Überforderung fühlen sich Menschen oftmals sprachlos. An diesen Schnittstellen, an denen Kommunikation scheitert, erschwert oder verhindert wird, setzt Unmögliche Verbindung an. Ondřej Adámek erprobt für sein Musiktheater auch eine für ihn neue Art des Komponierens: Die Musiker:innen des Ensemble Modern sind von Anfang an in den kreativen Prozess eingebunden und gestalten experimentell durch musikalisch neue Ausdrucksmittel die Komposition entscheidend mit.

Mehr zu Unmögliche Verbindung: https://bregenzerfestspiele.com/de/programm/unmoegliche-verbindung

Transkript anzeigen

00:00:00: [Musik]

00:00:18: [Florian Amort] Das Werk im Fokus dieser Folge, das Musiktheater "Unmögliche Verbindung" von Komponist Ondřej Adámek und Autor Thomas Fiedler.

00:00:30: [Musik]

00:00:39: [Musik]

00:00:44: [Florian Amort] Vor ein paar Jahren wurde Ondřej Adámek Zeuge einer ebenso merkwürdigen wie eindringlichen Situation.

00:00:52: Im Übergang durch die Parkanlage "Plantern un Blomen" in Hamburg beobachtete er Frauen, die vor dem gemauerten Sichtschutz der Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis versuchten,

00:01:02: durch laute Rufe mit ihren einsitzenden Männern Kontakt aufzunehmen.

00:01:07: Damit begingen die Frauen eine Ordnungswidrigkeit.

00:01:11: Im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten steht als Paragraf 115 Verkehr mit Gefangenen:

00:01:19: "Ordnungswidrig handelt, wer unbefugt einem Gefangenen Sachen oder Nachrichten übermittelt,

00:01:24: oder sich von ihm übermitteln lässt, oder sich mit einem Gefangenen, der sich innerhalb einer Vollzugsanstalt befindet, von außen durch Worte oder Zeichen verständigt."

00:01:36: [Musik]

00:01:52: [Florian Amort] Viel Banales und Alltägliches nahm Ondřej Adámek von den Mauerruferinnen war, aber auch tief empfundene Emotionen.

00:02:01: Frauen schreien Intimitäten gegen die Wand, wurde schnell zum geheimen Motto des neuen performativen Musiktheaters "Unmögliche Verbindung",

00:02:09: einem Auftragswerk der Bregenzer Festspiele und des Ensemble Modern, das im Sommer 2024 auf der Bregenzer Werkstattbühne seine Uraufführung feiert

00:02:20: und anschließend in einer Fassung für den Konzertzahl in der Kölner Philharmonie zu erleben ist.

00:02:25: Für Ondřej Adámek ist es ein besonderes Projekt.

00:02:30: [Ondřej Adámek] Die Partitur heißt "Connection Impossible" und die Vorstellung das Gleiche in Deutsch "Unmögliche Verbindung".

00:02:38: Das ist ein Projekt, das ich mit dem Ensemble Modern entwickelt habe seit mehreren Jahren.

00:02:45: Also, erster Impuls war so eine Workshop, "Try Out Session" zwei Tage in Juni vor drei Jahren.

00:02:56: Da haben wir mit Texten gearbeitet, aber auch mit Bewegung, mit Gäster in Raum, mit visuellen Aspekten.

00:03:03: Und ich habe ausgesucht Sachen, die euch Potenzial gesehen haben.

00:03:08: [Florian Amort] Bei den Try Outs im Juli 2021 und im Dezember 2022 war Autor und Regisseur Thomas Fiedler noch nicht dabei.

00:03:18: Der stieß erst Anfang 2023 zu dem Projekt hinzu und bekam zunächst zahlreiche Videomitschnitte aus den beiden Try Outs.

00:03:26: Ehe ein erstes Treffen mit Ondřej Adámek in Rom stattfand.

00:03:30: Thomas Fiedler berichtet beim dritten und letzten Try Out Ende Mai 2024 in Frankfurt den Musikerinnen und Musikern des Ensemble Modern.

00:03:40: [Thomas Fiedler] Dabei ist rausgekommen, die Idee, dass es eigentlich ein Stück werden soll, indem es um Kommunikation und die Unmöglichkeit von Kommunikation im Allgemeinen geht.

00:03:51: Und das beginnt einerseits bei der Kommunikation mit sich selber.

00:03:56: Also, wie komme ich überhaupt mit mir selber in Kontakt?

00:04:00: Kann ich mit mir sprechen? Hab ich irgendwie sowas wie eine eigene Stimme? Mit meinem Körper, mit meinen Gefühlen?

00:04:08: Dann aber auch die Frage, wie komme ich mit einer anderen Person in Kontakt?

00:04:12: Und dann haben wir versucht, diese Frage nach Kommunikation immer weiter auszudehnen.

00:04:17: Also, einerseits dieses Intersubjektive und dann aber auch, wie ist es, wenn ich in größere Gruppen hinein komme, also gesellschaftliche Zusammenhänge.

00:04:25: Und da ist man natürlich sofort bei auch politischen Fragestellungen, also, wie sprechen unterschiedliche Gruppen zueinander?

00:04:35: Wie können sie nicht miteinander sprechen?

00:04:37: Wie gibt es Argumente, die die einen verstehen, die anderen haben eine Gegenposition?

00:04:41: Ist eine Kommunikation möglich?

00:04:43: Bis hin zu Fragen des Globalen könnte man auch sagen.

00:04:46: Wie können Nationen oder auch eine gesamte Menschheit überhaupt in Kontakt miteinander kommen?

00:04:52: Gerade angesichts von Fragestellungen heutzutage, die eigentlich nur global gelöst werden können.

00:04:59: Und dann aber noch darüber hinausgehend, eigentlich ein Aspekt, der in vielen Try Outs oder Stücken von Ondřej eine Rolle spielt,

00:05:09: kann ich vielleicht auch darüber hinaus, mit vielleicht verstorbenen oder Menschen, die nicht mehr da sind, irgendwie in Kontakt treten?

00:05:19: Also, insofern geht es wirklich um so eine ganz, ganz große, fast mythische Erzählung, wie sprechen oder wie kommunizieren wir miteinander?

00:05:28: [Florian Amort] Auf dieser Fülle an Themen entstand keine durchgehende Geschichte mit konkreten Figuren, sondern eine Collage in 16 Kapiteln.

00:05:35: Verschiedenste Einzelstücke, mal sich steigernd, mal krass gebrochen, ergeben wie ein Puzzle ein dramaturgisch-schlüssiges Gesamtbild.

00:05:44: Die Einteilung in Kapiteln, die auch zu Beginn einer jeden Szene angesagt werden, erlaubt es Thomas Fiedler und Ondřej Adámek, die unterschiedlichsten Texte zu benutzen.

00:05:56: Reflexionen von René Descartes und Leonardo da Vinci, Verordnungen, Debatten, aber auch ein Gedicht des zeitgenössischen deutschen Schriftstellers Arne Rautenberg und eigene Texte der beiden.

00:06:08: In einem diskursiven Charakter schlägt das Musiktheater bezeichnenderweise auch eine Brücke in die Barockzeit und in die frühe Gattungsgeschichte der Oper.

00:06:18: Nicht nur Miguel de Cervantes Ritterroman "Don Quijote" oder der Schelmenroman "Simplicius Simplicissimus" von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen stellen jeder Geschichte eine programmatische Kapitelüberschrift voran,

00:06:32: sondern auch Emilio de’ Cavalieris "Rappresentatione di Anima, et di Corpo", die erste vollständig erhaltene Oper aus dem Jahr 1600.

00:06:43: In ihr folgt jeder Kapitelüberschrift eine entsprechende "Rappresentatione" in gespielter und musizierter Form.

00:06:50: Das Kapitel 2 von "Unmögliche Verbindung" steht beispielsweise unter der Überschrift "Und da war ich dann und kannte nur mich."

00:07:00: Musikalisch gestaltet es Ondřej Adámek als Dialog einer Sängerin mit sich selbst, durch einatmendes und ausatmendes Singen.

00:07:09: [Musik]

00:07:19: [Musik]

00:07:41: [Musik]

00:07:54: [Florian Amort] Die Musikausschnitte, die sie in dieser Podcastfolge hören,

00:07:58: stammen aus dem Mittschnitt des letzten Try Outs mit dem Ensemble Modern,

00:08:02: der Ende Mai 2024 in Frankfurt stattfand.

00:08:06: Es war die erste Begegnung der Musikerin und Musiker mit der fertigen Partitur.

00:08:11: Vieles spielen sie prima vista vom Blatt.

00:08:15: Insgesamt stehen 13 Musikerinnen und Musiker des Ensemble Modern auf der Bühne.

00:08:20: Hinzu kommen die Sopranistin Tara Khozein, die Schauspielerin Hanni Lorenz

00:08:26: und ein kleines Vokalensemble, bestehend aus Mitgliedern des Bregenzer Festspielchors.

00:08:31: Einer der musikalischen Höhepunkte der Partitur ist das Kapitel 10:

00:08:36: "Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache."

00:08:40: Darin verarbeiten Ondřej Adámek und Thomas Fiedler die biblische Geschichte des Turmbaus zu Babel.

00:08:47: Das Bauvorhaben steht gleichnishaft für das erste Großprojekt der Menschheit,

00:08:52: für den Wunsch etwas Großes zu erreichen und über sich hinauszuwachsen.

00:08:57: Doch Gott bereitet dem Frevel ein Ende und bestraft die Selbstüberhebung der Menschheit

00:09:02: und ihren Anspruch "gottgleich" zu werden mit der babylonischen Sprachverirrung.

00:09:08: In "Unmögliche Verbindung" ist die Szene doppeldeutig angelegt.

00:09:13: Die Geschichte balanciert permanent auf einem schmalen Grad zwischen visionären Impetus

00:09:18: für eine bessere, zukunftsbejahende Welt und faschistoider Massenbegeisterung.

00:09:24: [Musik]

00:09:34: [Musik]

00:09:44: [Musik]

00:10:04: [Musik]

00:10:07: [Florian Amort] Das Musiktheater "Unmögliche Verbindung" kann als ein künstlerisches Porträt des Ensemble modern gelten.

00:10:13: Die Musikerinnen und Musiker spielen auf der Bühne nicht nur auf ihrem jeweiligen Hauptinstrument,

00:10:18: sondern auch auf ungewöhnlich Nebeninstrumenten.

00:10:22: Eva Böcker, die seit 30 Jahren als Cellistin Mitglied des Ensembles ist,

00:10:27: fasst die Zusammenarbeit mit Ondřej Adámek wie folgt zusammen:

00:10:31: [Eva Böcker] Die Try Outs waren sehr wichtig für dieses Projekt, obwohl wir uns schon seit einigen Jahren kannten,

00:10:36: also Komponist und Ensemble und einige Stücke von ihm schon gespielt hatten,

00:10:41: wollte er eben für dieses Musiktheaterprojekt mal schauen, was wir alles so drauf haben,

00:10:48: was man vielleicht nicht sofort erkennt.

00:10:52: Also jetzt abgesehen von dem Hauptinstrument.

00:10:56: Manche von uns haben noch Nebeninstrumenten, er wollte auch wissen,

00:11:00: wer welche Stimme hat, vielleicht singen kann, bereit wäre zu singen,

00:11:05: oder eine gute Sprechstimme hat und vor allem auch wer welche Sprache spricht,

00:11:09: weil ja viele verschiedene Sprachen in dem Stück auch vorkommen.

00:11:12: Das ist gar keine routinierte Arbeit, sondern wirklich viel Neues.

00:11:17: Wir müssen die verschiedenen Aufgaben, die wir haben, koordinieren.

00:11:21: Also das Sprechen allein ist kein Problem und das Spielen allein auch nicht.

00:11:27: Das könnte man ganz normal proben, wie immer, aber das zu koordinieren,

00:11:33: damit man das gleichzeitig hinbekommt, rhythmisch exakt natürlich.

00:11:37: Und das ist dann schon eine Herausforderung oder zum Beispiel dynamisch unterschiedlich,

00:11:43: dass man ganz leise spielt und gleichzeitig aber eine Phrase singt

00:11:49: und die immer lauter werden muss.

00:11:51: Das ist dann, klingt sehr einfach, aber es ist eine ungewohnte Aufgabe einfach,

00:11:57: an die wir uns erst gewöhnen müssen.

00:11:59: [Florian Amort] Gleichzeitig singen, sprechen und Szene spielen,

00:12:02: ist eine Herausforderung für alle Beteiligten.

00:12:05: Das weiß auch Ondřej Adámek, der zugibt, dass er manchmal die Musikerinnen und Musiker

00:12:11: aus ihrer Komfortzone locken möchte, um etwas zu erleben, was man noch nie erlebt hat.

00:12:16: [Ondřej Adámek] Das Musiktheater ist schon sehr reizend, aber da steht eine Sache,

00:12:24: die wichtig ist, die uns sehr viel hilft, aber die uns auch begrenzt.

00:12:27: Die heißt Partitur. Partitur ist ein absolut geniales Tool,

00:12:32: was wir seit Jahrhunderten benutzen.

00:12:35: Und dank der Partitur können wir ein, also eineinhalb Stunden lang ein Stück

00:12:39: in einem Tag schon fast spielen.

00:12:42: Aber dann sich von der Partitur zu befreien, ist für uns mehr kompliziert.

00:12:47: Das ist vielleicht die größte Herausforderung für uns alle,

00:12:51: dass wir schon performen in Room, dass wir auch performieren können und frei

00:12:59: und trotzdem uns organisieren als Musiker können.

00:13:02: [Florian Amort] Der Titel "Unmögliche Verbindung" deutet schon an, dass Ondřej Adámek und

00:13:07: Thomas Fiedler mit Sorge auf unsere Gegenwart blicken.

00:13:11: Ihr Musiktheater ist aktuell, allerdings nicht tagespolitisch.

00:13:15: Vielmehr steht die Frage im Zentrum, wie eine so individualistische

00:13:19: und sekulare Gesellschaft, wie die unsere, mit bestimmten Fragen umgeht.

00:13:24: Wer bin ich? Wie stelle ich eine Verbindung zu mir selbst her,

00:13:29: zu meinen Wünschen, zu meinen Träumen?

00:13:32: Wie gehe ich mit existenziellen Erfahrungen wie dem Tod einer nahen Person um?

00:13:37: Wie verhalte ich mich in Diskussionen mit verhärteten Fronten?

00:13:41: Und wie könnten die großen Aufgaben der Menschheit in diesem Umfeld gelöst werden?

00:13:47: Der Turmbau zu Babel mit der babylonischen Sprachverirrung

00:13:51: bündet schließlich in das Kapitel "Vom Gespräch und den vielen Stimmen".

00:13:56: Es ist jener Moment, in dem auch das wandelbare Bühnenbild von Christian Wiehle

00:14:01: an kreisrunde Plenarsäle erinnert.

00:14:04: Man sitzt zwar zusammen in Räumen, in denen Konsense gefunden werden sollten,

00:14:09: doch in einer Debattenkultur, die nur darauf achtet, welche Partei am lautesten schreit,

00:14:15: ist die Vision für einen weltumspannenden Konsens eine Utopie.

00:14:20: In diesen emotionalen Szenen wirkt "Unmögliche Verbindung" am stärksten.

00:14:25: Das Stück bietet Impulse für vielschichtige Assoziationen, Erfahrungen und Gefühle.

00:14:31: [Musik]

00:14:51: [Florian Amort] "Unmögliche Verbindung" feiert am 27. Juli 2024 auf der Werkstattbühne

00:14:56: des Festspielhauses Bregenz seine Uraufführung.

00:14:59: Karten und weitere Informationen finden Sie auf www.bregenzerfestspiele.com

00:15:05: [Musik]

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